Da ich in der letzten Woche krankheitsbedingt in den zweifelhaften Genuss kam, das Sat1-Frühstücksfernsehen zu sehen, stießen mir sofort 2 Bemerkungen unangenehm auf, die mich so sehr ärgerten, dass ich einen Brief an Sat1 schrieb.
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17.02.2005
Sat 1 Satelliten Fernsehen GmbH
Zuschauerreaktion
Oberwallstraße 6
10117 Berlin
Frühstücksfernsehen
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich beziehe mich auf folgende Aussagen Ihrer Moderatoren im Frühstücksfernsehen, und zwar
* am 15.02.2005 von Moderator Peer Karliner Kusmagk:
"Warum werden die Menschen immer dicker und fetter? Die Antwort ist leicht: mit dem Auto in den Drive-in, dann das King-Size-Menü mit Pommes und hinterher die Familienpackung Eis."
* am 16.02.2005 Frühstücksfernsehen Moderatorin Jessica Witte-Winter und später noch einmal von Moderator Peer Karliner Kusmagk:
Kernaussage: Wie man sein Gewicht hält: kein Sport, immer den Teller voll, kein Salat, sondern Pommes mit Mayonnaise .... usw.
Was fällt Ihnen eigentlich ein, ständig derart über übergewichtige Menschen herzuziehen? Es mag vielleicht in Ihre kleine Welt nicht passen, doch die meisten Übergewichtigen sind eben nicht die disziplinlosen Fresser, für die Sie sie halten. Vielmehr sind gerade die Dicken die Disziplinierten. Ausnahmen gibt es immer, jedoch sind dies wirklich die Ausnahmen. Wenn man einmal mit objektivem Blick durch die Fastfood-Restaurants und Imbissbuden geht, sieht man in der Hauptsache schlanke Menschen, die dort ihre Mahlzeiten einnehmen. Selbst wenn dort einmal ein Dicker anzutreffen ist, bedeutet das nicht, dass er sich täglich und übermäßig von diesem ungesunden Schund ernährt. Doch warum sollte nicht auch ein dicker Mensch das Recht haben, ab und zu Fastfood zu essen?
Berichterstattungen wie die Ihre tragen dazu bei, dass unter den Kindern und Jugendlichen Essstörungen immer häufiger an der Tagesordnung sind. Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass man so gut wie alles darf; man darf sogar in Tierexkrementen baden, um nur einen Aspekt aus der endlosen Liste der erlaubten Peinlichkeiten zu nennen. Man darf nur eines nicht: dick sein. Und anstatt dafür zu sorgen, dass gesunde Nahrungsmittel auch oder gerade für den kleinen Geldbeutel erschwinglich sind, werden die Dicken in der Gesellschaft pausenlos von Politik und Medien schikaniert.
Dabei sind die Ursachen für Adipositas so komplex, wie die Menschheit selbst. Angefangen von Stoffwechselstörungen, die alleine schon wieder so viele Facetten haben, dass sie nur aufzuzählen diese Seite füllen würde, bis hin zu psychischen Erkrankungen. Wären Dicke, anders als ihnen ständig vorgeworfen, wirklich ein wenig disziplinloser, so wären viele von ihnen nicht annähernd so dick. Es mag Ihnen unbekannt sein, doch der "Jojo-Effekt" ist keine Erfindung hemmungsloser Dicker, die zu undiszipliniert sind, eine Diät durchzustehen. Im Gegenteil ist er das Ergebnis zahlloser Diäten.
Ich musste Diät halten, seit ich 5 Jahre alt war. Nicht etwa, weil ich zu dick war, sondern schlicht, weil ich nicht abgemagert war. Meine Mutter leidet ebenso wie die meisten von Ihnen unter dem krankhaften Wahn, dass nur schön sein kann, wer untergewichtig ist. Dadurch hat sie ihre Töchter buchstäblich körperlich kaputt gemacht. Während meine Schwester in die Magersucht mit Untergewicht gerutscht ist, haben sich bei mir aus der ständigen Unterernährung zusätzlich zu krankhaftem Übergewicht massive gesundheitliche, irreparable Schäden entwickelt. Zum Beispiel produziert meine Hirnanhangdrüse seit meiner Kindheit fast gar kein Wachstumshormon, so dass ich die Körpergröße eines etwa 10-Jährigen Kindes habe, sowie viel zu wenig Schilddrüsenhormone. Es geht sogar soweit, dass mein Immunsystem Antikörper gegen körpereigenes Gewebe richtet und sich so langsam, aber sicher, selbst zerstört. Und zwar alles als Folge von Diäten.
Um einmal Zahlen zu nennen: ich habe mich 25 Jahre lang von 600 bis 800 kcal täglich ernährt. Dabei liegt mein Grundumsatz (zu deutsch: die Energie, die der Körper benötigt, um im Liegen die Vitalfunktionen - Körpertemperatur, Atmung, Herzschlag, Stoffwechsel, etc. - aufrechtzuerhalten) bereits bei rd. 800 kcal. Im Klartext: eigentlich hätte ich bis auf die Knochen abmagern müssen. Doch der Körper ist so konzipiert, dass er in Zeiten der Not (und das ist eine Diät für ihn nun einmal, er kann ja nicht wissen, dass die Not absichtlich herbeigeführt wurde) so gut wie alle zugeführte Nahrung (auch die obligatorischen Salatteller ohne Dressing und Magerjoghurts) in Fett umwandelt. Es gibt also durchaus magersüchtige Dicke, so paradox das klingen mag. Ich bin so eine von vielen.
Warum die Menschen immer dicker werden? Weil die Politik und die Medien kolportieren, dass Dicke hässlich sind. Dass Dicke Feinde der Schönheit sind. Wenn sogar eine Renee Zellweger in ihrer Rolle als "Bridget Jones" als dick angesehen wird, eine Verona Feldbusch, die nach der Geburt ihres Kindes medizinisches Normalgewicht hatte, als "Moppel" bezeichnet wurde, wenn immer noch dicke Schauspieler nur Rollen bekommen, die von Selbsthass gegen die eigene Person triefen, müssen wir uns nicht wundern, dass immer mehr Menschen vor lauter Angst vor "Übergewicht" dubiose, krankmachende Diätformen versuchen und sich mit Appetitzüglern, Abführmitteln und Entwässerungstabletten voll stopfen, nur um nicht mehr dick zu sein. Statt die Akzeptanz Dicker in der Gesellschaft zu fördern, wird der Selbsthass und Selbstzerstörung geschürt.
Dass gesundheitliche Gründe gerade bei heutigen Kindern und Jugendlichen nicht notwendigerweise Auslöser für Übergewicht ist, mag stimmen. Doch die Gründe sind u.A. darin zu suchen, dass bei den heutigen monatlichen Zuwendungen (Sozialgeld/Arbeitslosengeld II) eine gesunde Ernährung überhaupt nicht machbar ist. Das Geld reicht gerade für die nötigsten Grundnahrungsmittel, und zwar keine Vollwertprodukte. Brot aus Auszugsmehl kostet im Schnitt 80 Cent pro Kilogramm. Vollkornbrot (ich meine damit nicht das dunkele Brot, das mit Schnellsauer künstlich aufgetrieben und pro forma mit ein paar Körnern versetzt wird) mindestens das Doppelte. Zur Zeit kostet eine ganz normale Salatgurke im Discounter rund 1,50 Euro. Von Tomaten und Gemüse will ich gar nicht sprechen, denn meist sind diese nicht nur überteuert, sondern künstlich gezüchtet und gänzlich geschmacklos. Kein Wunder also, dass bedürftige Eltern diesen Dreck nicht kaufen können und wollen. Und kein Wunder, dass diesen Kindern die "gesunde Ernährung" nicht schmeckt.
Einen weiteren Grund sehe ich in der zunehmenden Lieblosigkeit, mit der Eltern ihre Kinder behandeln. Wenn einem Kind/Jugendlichen täglich vermittelt wird, er/sie sei überflüssig, zu nichts nütze, ungeliebt, dann versuchen diese kleinen Menschen, die innere Leere, die sie verspüren, auszugleichen. Ihr Körper reagiert dann buchstäblich mit Hunger. Ein Hunger, der real ist, der diese Menschen quält, so dass sie essen müssen. Ein Hunger, der nicht da wäre, würden sie geliebt werden. Als ob der Hass in der Familie nicht reichen würde, müssen sie sich auch noch dem Spott der Mitschüler, der Gesellschaft, der Medien aussetzen.
Vielleicht denken Sie das nächste Mal besser nach, bevor Sie weiterhin Dicke öffentlich beschimpfen und diffamieren. Wenn Witze und blöde Sprüche auf Kosten körperlich oder geistig Behinderter, einer ethnischen Gruppe, Hautfarbe oder Rasse gemacht werden, regt sich jeder zu Recht darüber auf. Warum sind eigentlich Dicke für keinen noch so schlechten Witz zu schade? Ist Ihnen nicht klar, dass wir auch Menschen sind? Genauso klug, intelligent, hübsch, empfindsam, begabt wie jeder andere Mensch auch! Eigentlich erwarte ich vom Sender eine Entschuldigung für diese unwürdige Entgleisung.
Sollte ich eine Antwort vom Sender erhalten, informiere ich Euch.