Hallo Claudili,
stimme dir auch weitestgehend zu, möchte aber noch auf einen kleinen, aber feinen Unterschied aufmerksam machen, an dem auch das Aneinander-vorbei-Reden erklärbarer wird. Dazu möchte ich dein Rechenbeispiel aufgreifen:
Zitat von ClaudiliIn einem Betrieb gibt es 100 Mitarbeiter. 30 davon haben Übergewicht. Von den Normalgewichtigen haben 20% Rückenschmerzen (nur so als Beispiel), von den Übergewichtigen 30%. D.h es gibt 14 Normalgewichtige mit Rückenschmerzen und 9 Übergewichtige. Also kann jeder sagen, ich kenne mehr Dünne mit Rückenschmerzen als Dicke. Richtig, aber die Dicken haben trotzdem ein 70% höheres Risiko als die Dünnen!
Von Risiko zu sprechen, bedeutet, dass man mit genügender Sicherheit davon ausgehen kann, dass die Rückenschmerzen etwas mit dem Gewicht zu tun haben, im engeren Sinne sogar dadurch verursacht werden. Dagegen spricht, dass auch Normalgewichtige Rückenschmerzen haben. Man kann somit nur etwas über die Häufigkeit von Rückenschmerzen bei Übergewichtigen und Normalgewichtigen sagen, und Häufigkeit und Risiko sind nicht dasselbe. Der Zusammenhang - sofern wir ihn voraussetzen - könnte ja auch umgekehrt sein: Wer unter Rückenschmerzen leidet, hat ein erhöhtes Risiko, übergewichtig zu werden. Was sogar logischer wäre: schmerzbedingt eingeschränkte Bewegung, ggf. Schmerzmittel mit Einfluss auf den Stoffwechsel, erhöhte Zufuhr von Zucker und Genussmitteln...
Zitat von ClaudiliDas bedeutet immer unter „Gleichhaltung“ aller anderer Faktoren, z.B. eine 30jährige Frau mit normalem Blutdruck, die 3 mal die Woche Sport macht, mit unauffälliger Familiengeschichte,…, und BMI 35 hat ein xx% höheres Risiko, in den nächsten 10 Jahren an Krankheit y zu erkranken als eine 30jährige Frau mit normalem Blutdruck, die 3 mal die Woche Sport macht, mit unauffälliger Familiengeschichte und auch alle anderen Faktoren gleich, aber BMI 25.
Ich wäre sehr überrascht, wenn sich dies in irgendeiner ernstzunehmenden Publikation auf der Basis einer korrekten Studie fände. Es klingt erstmal so bestechend, sind wir doch alle darauf geeicht, Übergewicht als Risiko einzuschätzen. Aber warum sollte eine gesunde Frau mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als eine andere gesunde Frau erkranken, bloß weil sie gemessen an der Körperlänge mehr wiegt? Damit möchte ich nicht sagen, dass du umgehend die passende Studie aus dem Hut zaubern solltest oder meine Frage beantworten müsstest. Du schreibst ja selbst, dass die WHO es differenzierter sieht und die Notwendigkeit von Interventionen von weiteren Risikofaktoren abhängig macht. Damit käme dem Übergewicht aber nur noch die Rolle eines möglichen Indikators spezifischer Risikofaktoren zu, statt selbst als (Haupt-)Risikofaktor gehandelt zu werden. Würde sich das ein wenig mehr in die Arztpraxen herumsprechen, wäre schon einiges gewonnen.
LG, Rieke