Über den folgenden Artikel aus der heutigen Ausgabe der Stuttgarter Zeitung hab ich mich heut früh in der S-Bahn kaputt gelacht.
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Telefonschwaben
Aufgelegt
Von Werner Birkenmaier
Mein Pech ist, eine Telefonnummer zu haben, die, sofern man die Null weglässt, mit einer Vorwahl im Lande, sagen wir in Richtung Reutlingen, identisch ist. Wer hastig wählt oder die Null vergisst, bringt mein Telefon zum Klingeln. Das kommt häufiger vor, als mir echt ist. Für die Störungen werde ich aber insofern entschädigt, als sie mir Eindblick erlauben in die schwäbische Telefonmentalität. Bei der Mehrzahl der unfreiwilligen Teilnehmer handelt es sich um Schwaben, meist ältere Semster, auf dem Lande wohnend. Sie kennzeichnet eine direkte, offene Art.
Da sie davon ausgehen, richtig gewählt zu haben und mit dem gewünschten Teilnehmer verbunden zu sein, halten sie sich mit persönlichen Merkmalen nicht lange auf, sondern fallen mit der Tür ins Haus. Meist habe ich keine Chance, meinen Namen zu nenne oder gar darauf hinzuweisen, es müsse sich um eine falsche Verbindung handeln. Allein die Tatsache, dass ich den Hörer abgenommen habe, schließt offenbar jeden Irrtum aus. Das einseitge Gespräch läuft ab nach Art des Zurufs über die Straße: Man kennt sich doch und kann es knapp machen. "Du Karle," so vernahm ich dieser Tage, "Du stellscht em Siegfried da Kombi auf d'Baustell nom. Der braucht en ganz naidig." Und schon wurde wieder aufgelegt. Nun sorge ich mich, wie der Siegfried zu seinem Auto kommt. Unlängst wurde mir mitgeteilt: "Gell, dui Lieferung kommt morge vormittag. Sorg drfür, dass au Leit do send zom Ablade." Ja, so frage ich mich, wo soll ich die Leute hernehmen und wo soll ich sie hinbeordern.
Aber es geht nicht nur um Geschäftliches. Eine weibliche Stimme teilt mir mit: "Du Marie, saischt deiner Mutter, dass se gege viere zom Kaffee komme soll." Daruaf sage ich: "I be et d'Marie, ond mei Mutter ischt schau lang gschtorbe." Gegenrede: "Schwätz doch koin Dreck raus. I hau doch dei Mutter heut morge no romlaufe seha. Ond wieso bischt du et d'Marie?" Gute Frage wieso bin ich nicht die Marie und seit wann habe ich eine weibliche Stimme? "Sie hend sich verwählt", sage ich. "I han mi et verwählt, i schätz doch mit dir." - "Sell scho, aber i bin trotzdem et d'Marie." - "Ha so ebbes, Was ischt dennn heut mit dir? Du witts einer Mutter bloß et sage. Hend ihr zwoi Händel mitenander?" Aufgelegt.
Manchmal bedauere ich fast, dass ich nicht selbst gemeint bin. Letztes Jahr wurde ich eingeladen zum Kirschenpflücken bei Dettingen: "Ond bregscht zwoi Spankörble mit, dass er au ebbes hent zom Einmache." Wann, wo, wie - ich erfahre nicht Nähreres, denn es wird rasch aufgelegt. Nichtschwaben könnten versucht sein, diese Art der telefonischen Kommunikation für unhöflich zu halten und als schwäbischen Grobianismus einzuordnen. Es wäre eine falsche Annahme. So mancher Schwabe ist offenbar nicht bereit, sich dem technischen Medium Telefon unterzuordnen und dessen Eigenheiten zu akzeptieren. Wenn er schon knappe Anweisungen per Telefon übermittelt, hat der andere gefälligst zu wissen, wer da anruft. Deshalb ist es überflüssig, sich vorzustellen.
Als kürzlich eine ältere Teilnehmerin partout nicht wahrhaben wollte, dass sie falsch verbunden war, fragte ich zur Sicherheit nach, wer sie denn sei. Dann bekam ich die Antwort: "I be i." Sehr aufschlussreich. Ich bin ich, natürlich. Wer denn sonst.