Wann wird alles in Ordnung sein?

  • Hallo,


    mich beschäftigt seit längerer Zeit die Frage wann alles in Ordnung sein wird. Hört sich vielleicht erstmal komisch an aber ich erkläre kurz ;)



    Ich habe als Kind im Alter zwischen 8 und 14 sexuellen Missbrauch erlebt, wurde von den Eltern vernachlässigt, bin depressiv und habe auch ne psychische Erkrankung als Diagnose.


    Seit jeher habe ich meine Probleme und Gefühle über Essen ausgelebt, ich habe ich 4 Wochen 30 Kilo abgenommen durch totale Nahrungsverweigerung und dann innerhalb von 6 Jahren 100 Kilo zugelegt.


    Ich frage mich wie ich jemals davon loskommen kann Essen als Ersatz zu benutzen. Die Jahre in denen meine Eltern mich vernachlässigt haben und wegen denen ich jetzt an alle Menschen die mir was bedeuten klammere werden nicht ungeschehen. Bestimmte Situationen werden immer die Missbrauchserinnerungen wecken. Wie kann man das je vergessen? Ab wann kann ich sagen "Ich bin geheilt, alles okay!" Dann wenn ich dran denke und es tut nciht mehr weh?


    Wie kann ich lernen, dass Essen das Problem nicht löst?
    Ich habe mal eine Verhaltenstherapie gemacht aber irgendwie war es so oberflächlich und ich weiß nicht wie ein anderer Mensch es schaffen soll meine Gefühle und Gedanken zu beeinflussen.


    Falls der Beitrag doof sein sollte, bitte ich euch ihn zu löschen aber vielleicht mag ja auch jemand was dazu sagen.


    Liebe Grüße

  • Warum sollte Dein Beitrag unpassend sein? Ganz im Gegenteil - mich hat er tief berührt.


    Ich denke der Knackpunkt ist der, daß man irgendwie lernen muß mit der Vergangenheit umzugehen und das ist sicherlich ein schwerer Weg. Diese Erlebnisse kann man ganz gewiß nicht von heute auf morgen aus seinem Kopf verbannen und es kann Dir auch keiner sagen: wenn Du dieses oder jenes machst, dann ist alles wieder in Ordnung. Der Weg dahin, daß man mit dem Geschehenen umzugehen lernt, ist ganz gewiß steinig. Unerläßlich ist da meines Erachtens die Inanspruchnahme von therapeutischer Hilfe.
    Von alleine kommt man da sicherlich nur schwerlich raus, wenn überhaupt.


    Es macht mich immer wieder wütend zu lesen, wie Kinder ihrer Kindheit beraubt wurden, wie gnadenlos sich Misshandlungen von "körperlich in seelisch" über die Jahre hinweg wandeln und immer weiter fortsetzen. Es ist und bleibt mir unverständlich wie man seinen eigenen Kindern soetwas antun kann.

  • Ich denke nicht, daß irgendwann der Tag kommt, wo ein Therapeut mit einem Zauberstab daherkommt und alles, was in Deinem Leben bisher falsch gelaufen ist, einfach ungeschehen macht und Du von heute auf morgen geheilt bist. Ich weiß auch nicht, ob man von so etwas überhaupt völlig 'geheilt' werden kann, schließlich hast Du all diese Erfahrungen gemacht, die kann man ja nicht mehr aus seinem Gehirn löschen. Man kann nur lernen, mit dem allen zu leben, es als Teil von sich annehmen und versuchen, das Leben trotzdem in den Griff zu kriegen, Tag für Tag aufs neue. Mal gelingt es besser, mal schlechter, mal geht es eine Weile ganz gut, dann gibt es wieder Rückschläge - aber ich bin davon überzeugt, daß die Rückschläge irgendwann weniger werden, die Phasen, in denen man gut zurecht kommt, immer länger - wenn man sich wirklich bemüht, das Geschehene aufzuarbeiten. Allein ist das aber sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Ich denke auch, daß Du noch einmal über eine Therapie nachdenken solltest, die weniger vordergründig nur auf das Verhalten abzielt als auch wirklich die Ursachen anpackt.



    Alles Liebe für Dich!
    kleineente (die auch gerade mal wieder von vorne anfängt)

  • Ich kenn das gut, seine Gefühle mit Essen zu betäuben oder zu unterdrücken. Ich leide seit ca. 20 Jahren an einer recht ausgeprägten Essstörung (Binch-Eating-Disorder) und kämpfe seit knapp 10 Jahren aktiv gegen die Krankheit und ihre Symptome. Besonders "negative" Gefühle wie Trauer, Wut, Zorn und Enttäuschung kompensiere ich mit Essen. Auch spielt mein Vater eine ganz entscheidende Rolle.
    Anfangs habe ich es auch mit einer ambulanten Therapie versucht, allerdings war das damals definitiv nicht die richtige Therapeutin. Im Gegenteil, ich hatte nach jeder Sitzung erst einmal einen Essanfall... 2 Jahre später bin ich dann erstmals in eine psychosomatische Klinik gegangen und hier hab ich mich richtig gut aufgehoben gefühlt. Zwei weitere Aufenthalte folgten, aber wirklich "gesund" war ich auch danach nicht. Zwischenzeitlich mach ich eine ambulante Therapie und mein jetziger Therapeut ist ein wahres Goldstück. Ich fühle mich von ihm verstanden und hab vertrauen zu ihm.
    Ich hab für mich erkannt, dass der erste Schritt in Richtung "Gesundheit" ist, an meiner Vergangenheit zu arbeiten - das geht natürlich nur mit professioneller Hilfe. Und ich hab mich damit abgefunden, dass ich einen langem Atem brauche bis ich wieder im „grünen Bereich“ sein werde. Am liebsten wäre es mir, ich könnte alles sofort ändern. Nach dem Motto, ich nehme eine Tablette und schwups bin ich Gesund. Die Gedanken und Verhaltensweisen sind weg und auch mein Gewicht ist „normal“. Aber das läuft so leider, leider nicht... Also kämpfe ich weiter, gehe jede Woche brav zu meinem Therapeuten und grab mit ihm in meiner Gefühlswelt. Das ist manchmal sehr anstrengend und vor allem kommen immer wieder Dinge zum Vorschein, die ich lieber nie mehr ausgegraben hätte... Aber ich merke, dass es mir gut tut. Das sich viele Dinge langsam ändern, sei es im Umgang mit Gefühlen, in meinem Verhalten, in meiner Denkweise, im Umgang mit anderen Menschen...
    Außerdem habe ich mich dazu entschieden mich zusätzlich noch möglichst in diesem Jahr operieren zu lassen (Magen-Bypass). Einen ersten Termin für ein „Vorstellungsgespräch“ beim Chirurgen habe ich Gestern gemacht...


    Ich kann Dir wirklich nur empfehlen, Dir wieder einen Therapeuten zu suchen. Jemanden bei dem Du Dich gut aufgehoben fühlst und zu dem Du vertrauen fassen kannst. Vielleicht suchst Du Dir sogar einen speziellen Traumatherapeuten (Stichwort „EMDR“). Der Weg ist lang und hart, aber es lohnt sich...


    Ich wünsch Dir alles Liebe und vor allem ganz viel Kraft![font=&quot][/font]

  • Hallo Luyanna!

    Beim Lesen deines Beitrages ist mir folgendes von Waltraud Anna Mitgutsch aus „Die Züchtigung“ eingefallen:

    „Heilen heißt nicht vergessen.
    Heilen heißt, dass du dich innerlich davon frei machen kannst, dein Leben vom Gestern bestimmen zu lassen.“

    Schöne Worte – schwerer Weg.

    Ich selbst habe es bisher nicht geschafft, meine Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und „einfach nur“ die Gegenwart zu leben. Bei mir spielt sie noch immer eine wichtige Rolle. Und mir geht’s wie dir – wie vielen, die hier mitlesen und –schreiben: Essen. Essen als Seelentröster, als Ersatzbefriedigung, als Ausfüller der inneren Leere etc.


    Zitat



    Wie kann ich lernen, dass Essen das Problem nicht löst?
    Ich habe mal eine Verhaltenstherapie gemacht aber irgendwie war es so oberflächlich und ich weiß nicht wie ein anderer Mensch es schaffen soll meine Gefühle und Gedanken zu beeinflussen.


    Meine persönliche Meinung ist, dass es ohne Therapeut kaum (!) zu schaffen ist, aus diesem Kreislauf herauszukommen. Und den richtigen Therapeuten zu finden, ist gar nicht so einfach. Genauso wie die richtige Therapierichtung.

    Ein Therapeut ist niemand, der etwas für dich ändert! Er ist „dein Assistent“: er hilft dir dabei, deine Gedanken in die richtigen Bahnen zu lenken, sie zu ordnen, Dinge zu erkennen. Was aber das wichtigste ist: er geht mit dir deinen Weg – nicht du mit ihm. Du bestimmst, wie es läuft. Du bestimmst, was passiert. Er ist da für dich (!), und hört dir zu.



    @Poltermüller

    Mich hat auch dein Beitrag sehr berührt. Schön zu lesen, dass du für dich die Nadel im Heuhaufen der Therapeuten gefunden hast; jemanden, der dir und deiner Seele gut tut.





    Ich wünsche Euch beiden alles Liebe.

    Lilit

  • @ luyanna

    ich habe mal verhaltenstherapie gemacht

    irgendwie musste ich bei dem satz grinsen, bitte jetzt nicht böse sein. der satz entspricht fast dem was viele krankenkassen meinen. die macht jetzt ne therapie (bewilligt werden meistens nur max. 100 stunden, d.h. ca. 2 jahren) und dann ist alles o.k. es mag ja bei manchen so funktionieren. nur glaube ich nicht bei leuten wo das "päckchen", dass sie mit sich herumschleppen, so groß ist.

    erst musst du mal eine therapeuten/in finden, wo du das gefühl hast, die kann dich und deine vergangenheit aushalten. ich habe nach langem suchen und div. theras so jemanden gefunden. ja und dann hieß es bei mir vertrauen aufbauen, alles be- und verarbeiten, bearbeitet habe ich sehr vieles, im endeffekt, das was meine erinnerungsvermögen bereit war freizugeben. verarbeitet? sagen wir mal ich kann vielen sachen besser umgehen und habe nicht mehr unbedingt das gefühl, mich durch mein äußeres erscheinungsbild schützen zu müssen.

    geheilt - ich glaube das werde ich nie sein, es wird immer wieder situationen die trigger auslösen, die mir zu schaffen machen, nur werde ich immer besser lernen damit umzugehen und ihnen nicht mehr die macht einzuräumen.

    was die therapierichtung betrifft, hab ich das glück, dass meine thera da sehr flexibel ist und sehr vieles mitmacht. meine thera hat nur einen nachteil, sie hat keine kassenzulassung und das zentrum mit dem sie zusammenarbeitet hat seinen vertrag mit der krankenkasse nicht verlängert. jetzt ist die therapie mein privatvergnügen, aber diese frau ist mir jeden cent wert.

    ohne therapie wäre ich heute noch nicht so weit. vielleicht überlegst du es dir und machst noch mal eine thera evtl. gekoppelt mit einer stat. maßnahme.

  • Hallo ihr Lieben,


    danke für eure Antworten.


    In der letzten Zeit mache ich mir wirklich Gedanken um mich selbst, auch wenn das vielleicht doof klingt. Aber ich mache mir Sorgen, nicht nur ich, sondern auch meine Familie und Freunde. Ich werde einfach immer dicker und ich kann trotzdem nicht aufhören zu essen.


    zegge


    Ja, meine Frage klingt wirklich krankenkassenmäßig, da gebe ich dir Recht ;) Das liegt irgendwie daran, dass es mir nach einem Jahr Verhaltenstherapie schlechter ging als je zuvor. Ich konnte mir nicht vorstellen Sachen durchzukauen und keinen Effekt zu spüren.
    Ich glaube ich habe die falsche Therapieform für den Beginn gewählt, ich hätte zunächst eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie aufnehmen sollen.


    Das mit dem Vertrauen ist bei mir auch so eine Sache - bei meiner vorherigen Psychologin hab ich manchmal 10 Minuten da gesessen und geschwiegen. Ich wusste nichts zu sagen.


    Wie lange bist du bei deiner Therapeutin zegge?



    @ Lilit


    Das ist ein wirklich schönes und gleichzeitig treffendes Zitat.
    Wenn ich so überlege was "Heilung" im ursprünglichen Sinne für mich bedeutet, werde ich das wohl nicht erreichen.
    Ich möchte mich nur nicht mehr selbst zerstören, das ist das was ich mir am meisten im Leben wünsche!


    @ Poltermüller


    Es freut mich für dich, dass du ein Goldstück gefunden hast :) Es ist so schwierig irgendwie den passenden zu finden.
    Du drückst in deinen Zeilen das aus, was ich mir wünsche: ein Knopfdruck und ich bin geheilt. Aber ich weiß dass es nicht möglich ist. Du scheinst auf einem guten Weg zu sein und ich wünsche dir ganz viel Kraft dafür!


    @ kleineente


    Genau das was du im letzten Satz geschrieben hast habe ich mir auch überlegt. Wie soll ich mein Verhalten ändern, wenn die Ursachen nicht geklärt und verarbeitet sind. Du hast vollkommen recht, die Erfahrungen kann ich nicht löschen, ich muss aber lernen damit umzugehen. Manchmal setze ich mich damit sehr unter Druck.


    @ Dirpi


    Zumindest bei meinen Eltern war es so, dass sie mich über ihre Scheidung hinweg vergessen haben. Ich bin innerhalb von 5 Jahren 8 mal zwischen den beiden hin- und hergezogen bis ich schließlich beschlossen habe, freiwillig ins Kinderheim zu gehen. Ich saß bereits mit gepackter Tasche im Büro des Heimleiters


    Nochmal an alle:


    ich danke euch herzlich für eure lieben Worte und wünsche allen die im Moment in Therapie sind alles Liebe und viel Erfolg!


    Ich für meinen Teil habe heute erstmal mit meiner Krankenkasse telefoniert und gefragt ob mir eine weitere Therapie bewilligt werden kann. Eine Liste mit Therapeuten habe ich mir zusammengestellt und morgen werde ich mir die Finger wundtelefonieren. Denn wir ihr alle gesagt habt: ohne therapeutische Hilfe wird es kaum gehen.

  • @ luyanna

    mein goldstück von thera habe ich im april 2002 zum ersten mal getroffen. das gespräch war damals von anfang an für mich o.k., besonders weil ich das gefühl hatte, dass sie mir und meinem druck standhalten kann. ich hab sie sogar so gegen ende des gespräches gefragt, ob sie glaubt, mich aushalten zu können. ihre antwort war: ja

    aber auch die anderen theras, die ich vorher hatte, waren zu den zeiten, wo ich sie hatte o.k. klingt jetzt blöd oder? ich habe bei allen ein stückchen etwas gelernt bzw. handwerkszeug an die hand bekommen, nur waren die gebrauchsanweisungen für mich damals total chinesisch rückwärts.

    das vertrauen zu meiner therapeutin war eigentlich schon nach 4 wochen groß, so groß, dass mein erinnerungsvermögen und damit der smb rauskam. ich wußte/weiß manchmal nicht, wer fertiger nach der stunde war/ist. sie ist zwar "profi", aber sie ist in erster linie mensch geblieben.

    durchzukauen ...... hört sich für mich ziemlich nach zwang an, kenne ich von früher, jetzt ist es irgendwie anders. so hart die stunden sind, es macht spass, die effekte kommen langsam und sind auch nur ganz kleine schritte. die ich manchmal überhaupt nicht gemerkt habe, sondern mein umfeld. für mich ist die therapie auch nicht nach der sitzung beendet, sondern eigentlich befinde ich mich seit 2002 dauernd in therapie. ich versuche das erarbeitete umzusetzen oder manche dinge noch genauer zu betrachten. irgendwie ist das für mich wie ein reise zu mir selbst. ich muss erst alle masken von mir nehmen, sie nicht durch andere erneuern, damit ich an meinen ursprung komme.

    das mit dem schlechter gehen, mit manchen dingen, die ich erfahren habe, ging es mir saudreckig und ich fühlte mich zeitweise nur noch schlecht, doch hier war die ausdauer und die geduld von mir und vor allem meiner therapeutin gefragt. sie war dann für mich da, d.h. ich konnte ihr mailen und wenn sie z.b. am wochenende daheim war, kamen auch antworten retour oder sie hat mich sogar angerufen. im endeffekt war sie immer für mich da, hat aber nie mir die verantwortung für mich abgenommen.

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