Ich denke, es ist wichtig, dass man das Thema Essstörungen immer wieder anspricht und so war ich begeistert, als ich erfuhr, dass ich an der Talkshow „Fliege" zum Thema Essstörungen teilnehmen konnte.
Nach langen Gesprächen mit der Redaktion war ich überzeugt davon, in guten Händen zu sein und freute mich, als ich erfuhr, dass auch mein Freund zur Sendung würde mitkommen können.
Wir reisten also nach München.
Das „Fliege"-Team war extrem nett, hilfsbereit und aufmerksam. Man redete viel mit uns, kümmerte sich und nahm uns so etwas von unserer Aufregung.
Der Aufenthalt in der Maske war für mich ein echtes Erlebnis, da ich mich nie schminke und hier plötzlich in einen echten „Schuss" verwandelt wurde
Vor der Sendung trafen wir Herrn Fliege und kennt ihr das? Ihr steht jemandem gegenüber und spürt sofort, dass da etwas nicht stimmt? Nun, ich hatte dieses Gefühl und ab dem Moment ging alles den Bach runter.
Mit mir traten eine magersüchtige Frau, ein bulimischer Mann, eine Frau, die heilfastet (was auch immer das mit dem Thema zu tun hat) sowie eine Therapeutin, ein Heilfastenguru (ein alter Bekannter von Herrn Fliege - vielleicht deshalb Gast?!) und eine Ernährungsberaterin auf.
Bevor die Sendung lief, wurde ein Intro gedreht. Dabei sah man erst zwei große Stücke Sahnetorte, dann Herrn Fliege und schließlich uns Essgestörte. Man musste Herrn Fliege zweimal ermahnen, bis er die Worte: „Wer wird wohl heute diese Tortenstücke essen? Nun, ich habe da einen Verdacht." nicht mehr sagte, sondern „Nun, wir werden sehen."
Hmmm, hatte ich mich so in Herrn Fliege geirrt? Bis dato hatte ich immer gedacht, dass er wirklich auf seine Gäste eingeht und sich bemüht, anders als die anderen Talkshowmoderatoren zu sein. Ich hatte angenommen, dass er wirklich das Thema Esssucht in den Vordergrund stellen würde.
Leider hatte ich mich geirrt, denn bis auf wenige Highlights war auch diese Sendung eine Ansammlung von Klischees, moderiert von einem Selbstdarsteller höchster Güte.
Die magersüchtige Frau trat als erstes auf und man merkte Herrn Fliege an, wie attraktiv und sympathisch er sie fand. Dann kamen die Fachleute, von denen nur die Therapeutin wirklich etwas über Essstörungen wusste und auch dazu zu sagen hatte. Als nächstes folgte der bulimische Mann, von dem Herr Fliege nicht wirklich viel hielt und es ihn (oder zumindest uns Zuseher) auch spüren ließ. Dann kam die Frau, die heilfastet und Herrn Fliege relativ egal war und zum Schluss *tusch*...ich!
Bei niemandem war das Gewicht ein Thema gewesen, doch ich wurde begrüßt mit „....die zu ihren Höchstzeiten 142 kg wog und auch jetzt noch nicht sehr viel weiter drunter ist. Sie fühlt sich wohl mit ihrem Gewicht. Oder doch nicht? Fragen wir sie selbst.".... Hä? Ich hatte doch - laut Redaktion - als „strahlender Stern", der das zwanghafte Essen überwunden hat, den Zuschauern Mut machen sollen?!?! Nun führte man die Dicke vor und nannte - zuschauerwirksam - ihr Gewicht *ironie on* dieses unsagbar, unmenschlich hohe, widerwärtige Gewicht *ironie off*
Weiter ging es mit der Bemerkung, dass er - sähe er mich im Zug - ja doch nur denken würde „Man, ist die dick", aber nicht, dass ich mich damit wohl fühle. Hä zum Zweiten? Hatte irgendjemand behauptet, dass ich mich damit wohlfühle?
Um euch den Rest zu ersparen: Herr Fliege tat viel dafür, um mich als Dicke vorzuführen, wobei das Thema Essstörung leider in den Hintergrund gedrängt wurde. Wieder einmal wurde versucht, den stereotypen dicken Mensch zu zeigen, während die Magersüchtigen mitleidig behandelt wurden (was der magersüchtigen Frau selbst auch sauer aufstieß).
Wie ich mich fühlte? Gedemütigt....als hätte ich nicht schon genug Demütigungen in meinem Leben erlebt....
Und ich habe mich gefragt, warum Herr Fliege nicht nach 11 Jahren mal eine Talkshowpause einlegt, um das Interesse und den Respekt vor seinen Gästen wiederzufinden.
Nach der Sendung erzählte mir dann mein Freund, dass Herr Fliege sich mit einem seiner Mitarbeiter vor der Sendung noch über seine Gäste lustig gemacht hatte. Sein Kommentar zu mir: „Da ist eine die wiegt einhundertvierunddreißig Kilo!!!!!! Und die sagt, sie fühlt sich gut." - gefolgt von hämischem Lachen.
Auf der Rückfahrt fuhren wir mit der magersüchtigen Frau, dem Heilfastenguru und der Ernährungsberaterin zusammen in einem Wagen. Was in dieser halben Stunde der Guru und die Beraterin von sich gaben, möchte ich hier nicht mehr erwähnen. Man kann es mit dem berühmten Satz von Dieter Nuhr zusammenfassen: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten!"
Was ist mein Fazit?
Wäre ich in meiner Entwicklung nicht so weit, hätte mich sicherlich - als ich wieder Zuhause war - nur der Gang zum Kühlschrank gerettet. Jedes Zusammentreffen mit Herrn Fliege war verletzend und demütigend. Er hat in meinen Augen nichts für dicke Menschen übrig und zeigt es auch deutlich. Von mir aus kann er ein Problem mit dicken Menschen haben, aber er muss sie dennoch respektvoll behandeln.
Ich fand es interessant, mal hinter die Kulissen einer TV-Sendung zu blicken, aber bin tief enttäuscht darüber, dass es so ausging. Vor allem, nachdem sich die Redaktion so viel Mühe gegeben hatte und dann auch mit ansehen musste, wie der Moderator alles ruinierte.
ABER:
Ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Ich habe noch vor Ort gesagt, was ich von dieser Sendung und Herrn Fliege halte und habe somit mein „Wutpäckchen" in München gelassen. Als das Flugzeug in Düsseldorf landete, war ich schon wieder ganz ruhig
UND:
Ich werde weiter das Thema Essstörungen zur Sprache bringen. Damit vielleicht eines Tages auch ein dicker (essgestörter) Mensch als krank und nicht mehr nur als faul und disziplinlos gesehen wird.
ABER ALLES HATTE DOCH EIN GUTES:
Habe ich eine tolle Frau kennen gelernt. Meine magersüchtige Mitstreiterin war genauso enttäuscht und hat sich genauso unmenschlich behandelt gefühlt wie ich. Sie war da, um u. a. über ihr vor 2,5 Monaten eröffnetes „Restaurant Sehnsucht" in Berlin zu sprechen. Dabei handelt es sich um ein Restaurant für Essgestörte & „Friends" Dort gibt es eine klasse Speisekarte, normale Portionen und keine neugierigen, dummen Blicke, wenn man dort in der Öffentlichkeit isst - egal, ob als Dünner oder Dicker. Nebenan ist ein Verein, den sie gegründet hat und der Anlaufstelle für alle ist, die nicht mehr weiter wissen. Ich finde die Idee toll und werde Katja - so heisst sie - definitiv eines Tages besuchen. Wer mehr wissen möchte, kann mir gerne eine PN schicken.
Würde ich wieder in eine Talkshow gehen? Hm, ich weiss es nicht. Meine Hauptmotivation war der Gedanke: „Wenn es nur ein Mensch dort draußen guckt und etwas aus dieser Sendung mitnehmen kann, dann war das der Auftritt wert." Aber so, wie es lief, wird kein Esssüchtiger sich wirklich verstanden gefühlt haben
Noch etwas:
Was mich von allem am meisten traf, war, dass mein Freund am Ende mit Bauchkrämpfen neben mir im Flugzeug saß, weil er sich so geärgert hatte. So was darf einfach nicht sein!
Und zu guter Letzt:
Ich bin dick und habe ein Anrecht auf einen respektvollen Umgang mit meiner Person - egal, ob es sich bei meinem Gegenüber um eine Bäckereifachverkäuferin, einen Lehrer, einen Büromenschen, einen Fensterputzer, einen Zahnarzt oder einen Fernsehmoderator handelt! Verdammt noch mal!!!
Babs