Sturmtief, Vollmond und andere Frauenleiden

  • Ich hab diesen Artikel mal in einer Frauenzeitschrift "gefunden" - einer meiner Lieblingsartikel....


    Elke Heidenreich über Trümpfe der Weiblichkeit
    Lebensentwürfe und Karrieren sind heute längst nicht mehr so geschlechterabhängig wie einst. Frauenbewegung, Gleichstellungsgesetze, Quoten und Quoren, Förderpläne, das Babyjahr für die Väter - den deutschen Frauen gehört längst die Hälfte der Welt. So meint jedenfalls Elke Heidenreich, die das erste Wort hat in einer Artikelserie, in der profilierte Autorinnen über Frauen schreiben.


    Das weiß ja jeder: Wenn wir Frauen unsere Tage haben, dann sind wir mächtig schlecht drauf. Kurz vorher auch. Auch kurz danach. Das ist die Zeit, in der wir ebenso grund- wie pausenlos in Tränen ausbrechen, dem Briefträger unsere geheimsten Sehnsüchte erzählen und zwanzigjährige Ehen kurzerhand beenden, anschließend holen wir uns aus dem Tierheim den ältesten, dicksten und traurigsten Hund, und Karlheinz soll doch sehen, wo er bleibt.
    Ganz schlimm ist es auch mit uns bei Vollmond. Da fahren wir den Wagen zu Schrott, bestellen uns per Teleshopping eine ganz und gar neue Garderobe, und zwar in Größe 36, denn das wär‘ ja doch gelacht, wenn wir die dreißig Kilo nicht runterkriegen, bis das Paket mit den Klamotten kommt! Nachts wälzen wir uns schlaflos und schreiben Liebesbriefe an Tanzstundenpartner, die seit dreißig Jahren nicht an uns gedacht haben. Schlägt das Wetter um und über die Kölner Bucht zieht ein Tief, ach, dann legen wir am liebsten den Kopf auf die heiße Herdplatte oder werfen den laufenden Föhn zu uns in die Wanne, sterben, nur noch sterben, es ist nichts anderes mit uns anzufangen. Vergessen wir bitte auch nicht die Biokurve: die geht rauf und runter, gerade so, wie sie will und bei runter zünden wir das Haus an und würgen endlich unsere Nachbarn, die mit den sauberen Badezimmerkacheln, den Megaperls und den blitzweißen Gardinen.
    Das alles sind Naturkatastrophen, denen jede Frau sich immer wieder stellen muß. Aber es gibt ja zusätzlich noch die Tage ganz normalen Elends - wenn der Liebste nicht anruft, dafür aber Mutter zu Besuch kommt, wenn die Henkel der Tragetüte nach vollem Einkauf reißen, wenn uns jemand kränkt und wenn die Haare nicht sitzen. Am liebsten legten wir uns dann ins Bett, zögen die Decke über den Kopf und riefen, wenn es klingelt: „Hier sind alle tot!“
    So Schwestern, wenn wir das jetzt addieren - Frauenleiden, Vollmond, Biokurve, Sturmtief, Tagesschrecken - dann kommen wir auf vielleicht zehn bis zwölf normale Tage im Monat. Und in diesen zehn, zwölf normalen Tagen, an denen wir im Vollbesitz körperlicher, geistiger und seelischer Kräfte sind, in diesen zehn bis zwölf Tagen sind wir berufstätig, putzen das ganze Haus, kriegen Kinder und ziehen sie groß, gehen zum Elternsprechtag, fahren den Wagen durch den TÜV, schreiben wunderbare Betrachtungen wie diese - sind wir nicht toll? Sind wir Frauen nicht fabelhafte Wesen, die aus dem bißchen Tatkraft, das die Natur ihnen läßt, soviel Schönes schaffen können? Ja, wir übertrumpfen sogar diese ewig wehleidigen, angeblich so starken Männer schon, indem wir wie sie im Lokal laut in unsere Handys schreien, an roten Ampeln den Aschenbecher einfach auf die Straße leeren, jedem Trottel, der uns nicht schnell genug überholen läßt, das Fuck-you-Zeichen machen und auf die Straße spucken, wenn uns danach ist. Wir müssen bloß noch lernen, wenn wir im Lokal vom Klo kommen, erst beim Gang durchs Restaurant die Strumpfhose hoch und den Rock runterzuziehen, so wie die Jungens ja auch immer erst auf dem Gang zum Tisch die Reißverschlüsse zumachen.
    Dann haben wir es geschafft. Mit der Hälfte der Kraft sind wir genauso stark, uns kann keiner, und jeder Richter gibt uns bei Gattenmord mildernde Umstände, wenn wir gerade unsere Periode hatten. Er weiß auch, daß wir bei Vollmond nur haarscharf am Wahnsinn entlangschrammen und sieht leichte Strafen bei Attentaten auf Supermärkte vor. Das sind Chancen. Die müssen wir sehen und nutzen. Der Mann muß immer stark sein, der Arme, darum wohl hat er auch so nachgelassen. Wir sind die Hälfte der Zeit unzurechnungsfähig, und in der anderen Hälfte machen wir uns jetzt die Erde untertan, aber hallo.
    Heute abend gehe ich in die Kneipe, und wenn da vier Männer ohne Frauen sitzen und Karten spielen, dann sage ich leichthin: „Na, ihr Schönen, so ganz allein heute abend?“
    Falls ich mich traue. Meine Biokurve ist nämlich heute mal wieder ganz im Keller.

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