Wie reagiert die Umwelt

  • Ich werf jetzt einfach mal eben 2 Dinge in den Raum:

    Nr.1 ist ein Buch, das ich einmal lesen musste, aber ab Seite 4 damals nur noch "durchgeschluchzt" habe, weil es so sehr den Finger in meine Wunden legte. Es heisst "Aussöhnung mit dem inneren Kind", wurde von Erika J. Chopich und Margaret Paul geschrieben und im Bauer-Verlag verlegt, ist nicht ganz billig*, sollte aber als Klassiker seines Genres in jeder guten Bücherei zu leihen sein und beschäftigt sich - nomen est omen - mit genau dem, was Ihr hier beschreibt, sprich: mit frühkindlichen Wunden, die bis heute das Leben beeinträchtigen und wie man sich davon frei strampeln kann. Für mich war es, wie gesagt, kein Buch, das sich neutral und mit einem gewissen Sicherheitsabstand lesen lässt, sondern eines, das mich auf den Punkt "erwischt" und bis heute nicht mehr vollständig los gelassen hat ( konkret bin ich damals im tiefsten Winter circa 3 Wochen lang mit Sonnenbrille herum gelaufen, weil ich durchweg wie eine Qualle ausgesehen habe). Aber ich habe auch nie wieder ein Buch in die Hände bekommen, das so viel in Bewegung gesetzt und - zumindest mir - geholfen hat, mich selbst zu sortieren. Ich kann's nur jedem empfehlen.

    ( * gibt es inzwischen auch als Taschenbuch für rund 9,- €, sagt Amazon)

    Nr.2 ist ein Denkansatz: jemandem gegenüber begangene Fehler einzugestehen, zieht idR Konsequenzen, sprich: notwendige Verhaltensänderungen nach sich. Und für manch einen, zumal für eine Generation, die nicht gelernt hat, sich zu reflektieren, sondern noch zur wenig individuellen Funktionalität hin erzogen wurde ( bedenkt mal, welche Werte damals vorherrschten!), wirkt sowas zuweilen beinahe lebensbedrohlich. Will sagen: wenn eine halbwegs funktionierende Fassade alles ist, woran man sich fest halten kann, dann hält man sich daran fest ... und zwar so fest man nur kann.
    Ich will Eure Mütter ganz sicherlich nicht entschuldigen, sondern nur eine Möglichkeit aufzeigen, warum sie Euch so manches vielleicht gar nicht eingestehen "können"; sie müssten sich dazu selbst hinterfragen und neben eigenen Unzulänglichkeiten ggf. auch noch die Schuld für manch an Euch begangenes Unrecht verantworten. Und das ist eine Menge Last ... Verdrängen scheint da sicherlich allemal einfacher. Eure Aufforderung zur Auseinandersetzung wirkt für sie vermutlich wie eine Bedrohung und ihre Verweigerung dürfte weitaus mehr mit Selbsterhaltung und eigener Hilflosigkeit, als mit primärer "Lieb-Losigkeit" zu tun haben. Nur mal so hier rein gemurmelt ... :)

    Alles Liebe,
    Dagmar

  • Hallo ihr Lieben!

    Ich bin erst neu hier bei euch, bin durch Zufall auf diese Seite gestoßen und sitze nun schon seit 2 Tagen (und halben Nächten) wie gebannt vorm PC und lese, und staune. Es ist Wahnsinn, wieviel ihr hier erzählt habt, dass mich so sehr an meine Kindheit oder an mein Verhalten erinnert.

    Erst einmal ein bischen von mir, ich bin 31 Jahre alt, klein und rund (zu den genauen Maßen kann ich (noch) nicht stehen :o ) und habe wie einige von euch mein Leben von ca. der Pubertät an bis 27 "verpennt", oder "hinter Masken verbracht", oder einfach nur Theater gespielt. Ich dachte, das ist mein einziger Schutz vor Verletzungen, wenn keiner meinen Kern kennt, wird ihm auch keiner wehtun.

    Zur Kindheit ist zu sagen, dass ich (auch) immer das Gefühl hatte, dass sich meine Mutter für mich schämt. Egal, wo wir hingegangen sind, was wir getan haben, immer gab es etwas am Aussehen oder am Verhalten auszusetzen. So wie ich war, war ich nicht gut genug. Neulich erst haben wir beim Spaziergang ein junges Mädel auf der Straße gesehen, keine 16, der Geschmack ihrer Klamotten entsprach eher dem ihrer Oma... Leider hat meine Mutter meinen Wink ("schade, dass sich niemand findet, der diesem Mädchen mit Gefühl Geschmack beibringt") nicht verstanden oder nicht verstehen wollen . Ihre Antwort war nur: es gäbe Kinder, denen man gar nichts sagen könnte, die wollten immer nur ihren Kopf durchsetzen. Naja, die alte Leier, ich wäre eben ein dickköpfiges und unmögliches Kind gewesen. Das ich aber jemanden gebraucht habe, der Zugang zu mir haben wollte und nicht nur abfällig geschimpft hat, das hat sie immer noch nicht begriffen.

    Mit meiner Mutter über ihr Verhalten mir gegenüber zu reden, das artet immer in Tränen aus. Mir hätte man doch nie was sagen können. Wie könne ich so undankbar sein, sie hätte nach bestem Wissen gehandelt. Naja, und ich bin dann immer diejenige, die mit super-schlechtem Gewissen nach Hause geht. Sehr weit sind wir noch nicht gekommen mit der Aufrollung der Vergangenheit und der Ursachen meiner Probleme. Ich bin dabei...


  • Liebe Ulla, liebe Teichrose, liebes Weichweib und liebe Queene,


    welch eine Diskussion, welch ein Thread!


    Ulla, leider weiss meine Tante auch nicht, wo mein Opa beerdigt ist. Wir wissen noch nicht einmal die Stadt, in der er am Bodensee gelebt hat. Er hatte wohl bei einem Bekannten gewohnt. Ob dieser gut zu ihm war, wissen wir auch nicht. Mein Vater hatte einige Jahre vor seinem Tod noch einmal kurz Kontakt mit meinem Opa und mein Opa war völlig erschüttert und sagte: „Junge, du lebst?!“ Wir wissen nicht, ob dieser Bekannte ihm erzählt hatte, dass seine Familie ums Leben gekommen war (Erbe?!) oder er zu dem Zeitpunkt schon dement war. Wir wissen so wenig..... :(


    Teichrose, ich denke, auch Ulla und ich halten so wie du Kontakt zu unseren Verstorbenen. Es ist nicht so, dass ich direkt mit meinem Opa rede, aber ich denke ganz häufig: „Kannst du das sehen?“ oder „Wie gerne würde ich dir davon erzählen.“ Ich glaube, das ist vergleichbar. Wir wollen einfach den Kontakt zu den Verstorbenen. Wollen sie wissen lassen, dass wir noch an sie denken. Und das ist auch gut so (liebe Genossinnen und Genossen ;) ).


    Weichweib, dieses Buch „Aussöhnung mit dem inneren Kind“ klingt sehr spannend. Ich werde mal im I-net gucken, was da so angeboten wird.


    Queene, als ich den ersten Absatz deines Postings las, dachte ich: „Oh Gott, habe ich das geschrieben?“. Es wurde auch nicht viel besser beim zweiten. Wir können uns die Hand reichen. Bei mir ist es allerdings so, dass mittlerweile auch meine Mutter eine Therapie macht und wir uns seitdem sehr viel näher gekommen sind. Sie hat auch genug aufzuarbeiten, denn sie wurde im Krieg geboren und Blümel hat in ihrem Posting oben genau die Situation geschildert. Die Kriegsgenerationen konnten sich nicht mit sich und ihren Gefühlen auseinander setzen. Wenn meine/unsere Großeltern aufgemuckt oder gesagt hätten, was sie wirklich dachten, hätten sie den Krieg evtl. nicht lebend überstanden. Diese Generation wurde dazu erzogen, keine Gefühle zu zeigen und nicht das auszusprechen, was sie wirklich bewegte. Dieses Verhalten gaben sie an unsere Eltern weiter und die an uns. Erst wir haben die Chance, anders zu leben. Und dann kommt es zu Konflikten. Unsere Eltern können nicht über ihre Gefühle sprechen, wir haben aber das Bedürfnis, es zu tun, weil wir wissen, dass nur redenden Menschen geholfen wird. Da prallen zwei Welten aufeinander. Ich habe jetzt mal pauschalisiert, denke aber, dass es auf sehr, sehr viele Familien trifft dies zu.


    Ich hoffe, Queene, das du dich in diesem Forum wohlfühlen wirst und du auch irgendwann zu deinen Maßen (und Massen ;) ) stehen wirst.


    Babs


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