Ich dachte ja, ich sei gegen ärztliche Übergriffe immun. Nun ja, gegen die wirklich plumpen bin ich das ja vielleicht auch, jedenfalls in den letzten zehn Jahren. Aber diese Geschichte lief doch eher subtil ab, was mich ganz schön ins Grübeln gebracht hat, aber erst mal der Reihe nach.
Seit einiger Zeit schmerzt mich gelegentlich mein linkes Knie. Die Schmerzen sind mal schlimmer und mal weniger schlimm. Ich habe das Gefühl, dass diese Art von Schmerzen immer dann auftauchen, wenn ich das Knie ungeschickt gedreht habe. (Es gibt da so eine bestimmte Übung, die ich immer mache, wenn ich Tee hole. Dann habe ich in der einen Hand die Teekanne meines Chefs und unter dem gleichen Arm die Wasserflasche, in der anderen Hand habe ich meine Tasse mit heißem Tee. Die Tasse stelle ich dann auf der Fensterbank im Treppenhaus ab, öffne mit der freien Hand die Tür zu unserem Korridor, halte mit einem Fuß die Tür auf, muss dann aber das andere Bein anheben und so eine Art sterbenden Schwan geben, um an die Teetasse zu kommen. Dabei ist mir das mit dem Bein passiert.) Nun habe ich vorige Woche - dem sanften Druck meines Freundes nachgebend - einen Orthopäden aufgesucht, um diese Sache mal grundsätzlich klären zu lassen. Ich war zum ersten Mal bei diesem Orthopäden. Er hat die Praxis meines langjährigen Orthopäden bei dessen Pensionierung übernommen.
Ich schilderte ihm also mein Zipperlein. Er forderte mich auf, mich auf eine Liege zu legen, bog mein Knie hin und her und erklärte mir sehr freundlich und keineswegs überheblich, dass meine Knie nun auch eine Menge zu tragen hätten und dass ich daher eine Arthrose im Knie hätte. Er erklärte mir auch, dass eine Arthrose nicht heilbar sei und ich damit nunmehr den Rest meines Lebens klar zu kommen habe. Zum Abschluss drückte er mir noch mal kräftig auf die Innenseite des Knies, so dass ich vor Schmerzen einen halben Meter über der Liege schwebte, was er mir als weiteren Beweis für die Arthrose verkaufte. Nun hatte ich in meiner Kur recht viel über Arthrosen gelernt und hatte mittelschwere Akzeptanzprobleme, was diese Diagnose betraf. Ich bin – wie die meisten ja wissen - fest davon überzeugt, dass man auch als Dicke(r) eine Menge für die Gesunderhaltung des Körpers tun kann, wenn man sich gesund ernährt und viel bewegt. Nach diesem Prinzip lebe ich seit Jahren und nun sollte ausgerechnet ich eine Arthrose haben.
Das Herumdrücken auf dem Knie hat dazu geführt, dass die Schmerzen so schlimm wurden, wie sie es noch niemals zuvor waren. Das ganze Wochenende habe ich völlig zerknirscht zu Hause rumgehangen und wirklich gelitten.
Gestern stand ich wieder bei dem Arzt auf der Matte. Er erklärte mir erneut, dass ich Geduld haben müsse. Bei meinem Gewicht würde sich solch ein entzündlicher Zustand nicht so ohne Weiteres zurückbilden. Alles superfreundlich und verständnisvoll. Stärkere Tabletten könne er mir unter keinen Umständen geben, denn die Tabletten, die er mir verschrieben habe, seien mit Abstand das Stärkste, was es gegen diese Art von Beschwerden gäbe, und ich solle maximal zwei davon nehmen.
Ich ging zur Arbeit und litt weiter. Schon über’s Wochenende hatte ich eine handfeste Depression entwickelt. Mich nicht mehr bewegen zu können, ist meine Horrorvorstellung schlechthin. Ich war schon so weit, dass ich wider alles bessere Wissen eine Hungerkur beginnen wollte. Aber irgend etwas tief in mir drin, ließ mich diesem Arzt nicht trauen, zu Recht, wie sich herausstellte.
Ich rief meinen Hausarzt an, der mich und meine Geschichte genau kennt, der zwar als Internist praktiziert, aber auch eine orthopädische Facharztausbildung hat, und schilderte ihm unter Tränen mein Problem. Er fragte mich, ob ich ihm mal die Bilder besorgen könnte. Bilder? Welche Bilder? Na, die Röntgen-Bilder. Ich sagte ihm, der Orthopäde habe meine Knie nicht geröntgt. Er war empört und bat mich, heute in seine Praxis zu kommen. Auch er bewegte die Knie hin und her und schickte mich dann zum Röntgen beider Knie.
Und was war? Nichts, absolut nichts! Er erklärte mir anhand der Bilder, dass ich minimale Verschleißerscheinungen an den Knien habe, die aber in meinem Alter (43) völlig normal sind. Von Arthrose nicht die geringste Spur. Im Gegenteil: Meine Knie seien für mein Alter und trotz meines Gewichts in einem optimalen Zustand und da zeige sich doch mal wieder, wie viel es ausmachen würde, wenn man sich regelmäßig bewegt, so wie ich es täte.
Ja, und was habe ich nun? Er meinte, ich habe mir das Knie verrenkt, möglicherweise verdreht (deckt sich ja mit meinen Beobachtungen), ich solle täglich drei (!) von den Tabletten nehmen und dann wäre das schon bald wieder okay. Als ich nachfragte, ob das denn nicht gefährlich wäre, wo die Tabletten doch solche Hämmer wären, schaute er mich ungläubig an und meinte, das sei das schwächste Medikament, was es für diese Art von Beschwerden gibt.
Dieser Orthopäde hatte mich schlicht und ergreifend verar***t. Der hatte mich gesehen und schon war für ihn die Sache klar. Versteht sich von selbst, dass ich ihm noch einen netten Brief zu dem Thema schreiben werde.
Ins Grübeln bin ich geraten, weil man doch diese ewigen Warnungen vor den Schäden, die Übergewicht anrichtet, sehr, sehr verinnerlicht hat. Ich bin echt in Panik geraten und dachte: So, nun haben sie Dich. Jetzt biste dran und musst für Deine verquere, gegen alle guten Sitten verstoßende Einstellung zu Deinem Übergewicht büßen. Was bin ich froh, dass sich die ganze Geschichte komplett ins Gegenteil verkehrt hat und ich am Ende genau für diese meine Lebensweise auch noch ein Lob kassiert habe. Alles andere hätte mein Ego nicht verkraftet. *lach*
Crassa *aufatmend*