Hallo Vertigo,
seit längerer Zeit lese ich hier im Forum mit und Dein Beitrag hat mich berührt, so dass ich etwas dazu schreiben möchte.
Zum einen erscheint es mir (wie wohl auch Dir, wenn ich es richtig verstanden habe) auch so, als würdest Du gerade tief in einer Depression stecken.
Ich befürchte, dass es ohne professionelle Hilfe für Dich schwierig wird, aus dieser „Abwärtsspirale“ wieder rauszukommen, auch wenn ich verstehen kann, dass Du Dich schon übertherapiert fühlst.
Zum anderen hast Du unabhängig von Deiner Depression (auch wenn ein negatives Selbstbild die Idioten anzuziehen scheint wie Milch die Fliegen) viele unschöne und diskriminierende Erlebnisse gehabt. Meiner Ansicht nach ist es nicht „nur“ mit Deiner Depression zu begründen, dass Du dieses negative Bild, das Dir von Deinem Umfeld vermittelt wurde, übernommen hast. Viele Menschen aus diskriminierten Bevölkerungsgruppen berichten über ähnliche Erfahrungen. Toni Morrison z.B. hat diese Thematik sehr häufig in ihren Romanen verarbeitet, dort natürlich auf Afro- Amerikaner bezogen.
Die Frage ist, wie geht man damit um?
Ich glaub das Problem ist, dass man die Beleidigungen nicht wie z.B. die Beschimpfung „Du A…“ abschütteln kann, da sie einen gesamtheitlich abwertet, nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Aber wenn Du Dich mal in der Geschichte umschaust- Dicke sind nicht die einzigen, die auf diese Art und Weise degradiert wurden. Es ist ein wichtiger Schritt für einen selbst zu erkennen, dass man diskriminiert wird- und dies auch auszusprechen.
Ich hasse ein rigides Schwarz- Weiß- Denken, aber das, was andere Dir teilweise angetan haben ist, einfach formuliert, Unrecht. Auch wenn es momentan in dem gängigen Gesellschaftssystem viel zu wenig Möglichkeiten gibt, sich juristisch gegen solche (verbale) Übergriffe zu wehren- es ist Unrecht. Nicht Du bist schlecht, weil Du dick bist, sondern die anderen, die Gewalt ausüben. Eine physiognomische Eigenschaft darf niemals ein Freifahrtschein sein, jemanden fertig zu machen. Leider passiert so was schnell. Es gibt und gab in verschiedenen Gesellschaftsstrukturen immer wieder faschistoide Tendenzen.
Lenke Deinen Hass nicht auf Dich selbst- sei wütend über die Leute, die Dich diskriminieren.
Aber verallgemeinere auch nicht. Nicht alle Menschen haben so ein negatives „Dicken“- Bild.
Und schreibe die „Geschichte“ für Dich um. Alles, was Du über Dicke hörst, sind nur Geschichten. Du kannst nicht anderen vorschreiben, ob sie die Geschichten glauben oder nicht, oder ob sie sich zum Teil einer Geschichte machen möchten, aber Du kannst selbst entscheiden, ob Du die Geschichte für wirklich erachtest, oder nicht. Dicke werden nicht geliebt? Dicke sind Loser? Dicke sind doof? Holla die Waldfee, da kenn ich aber andere.
Ich denke auch, dass Du Deinen Arsch hochkriegen musst (ist vielleicht schwierig mit Depression?)- aber nicht um abzunehmen, sondern um Dich nicht so ohnmächtig zu fühlen. Ich glaube Du hast schon einen entscheidenden Schritt getan, Dich hier im Forum anzumelden, nicht nur weil Du Dich mit Menschen austauschen kannst, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sondern weil ich es auch als eine Möglichkeit ansehe, sich eine Stimme zu verschaffen.
Meine Therapeutin meinte, „Depression“ käme von „niedergedrückt sein“, der Unfähigkeit zu handeln. Natürlich ist das sehr vereinfacht. Und bei Dir geht´s sicher nicht nur um das Thema „Dicksein“. Darum fände ich irgend´ne Art von Hilfe doch für sinnvoll.
Hast Du mit Deiner Lebenspartnerin schon über Dein Problem gesprochen?
Du schreibst, sie fühlt sich zusehend ungeliebter. Es wäre schade, wenn Eure Beziehung wegen mangelnder Kommunikation den Bach runterginge.
Ich wünsche Dir alles Gute
A.