Hallo ihr Lieben,
ich lese hier nun schon ziemlich lange und habe auch schon die eine oder andere Geschichte von euch gelesen. Ich glaube ich bin nun endlich so weit, euch auch mal meine zu erzählen.
Ich hoffe der Thread ist hier richtig, sollte ich ihn in die falsche Rubrik gesteckt haben, bitte ich um Entschuldigung. Ich weiss auch gar nicht, ob es sich bei meinem „Problem“ um eine Essstörung handelt, was das angeht bin ich sehr unsicher. Aber hier meine Geschichte...
...ich muss ziemlich weit zurück in meine Kindheit gehen um zu beginnen. Ich war damals ca. 3 Jahre alt oder 4. Meine Mutter und mein Vater haben sich damals scheiden lassen und es gab eine große Schlammschlacht, die sie natürlich auf meinem Rücken ausgetragen haben. Meine Mutter hatte einen neuen Partner, den sie später auch geheiratet hat. Sie wollte aber mit aller Macht verhindern, dass mein leiblicher Vater mich weiterhin besucht. Und ich war damals sehr leicht zu beeinflussen. Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich meinen leiblichen Vater das letzte Mal sah. Er hatte mir ein Dirndl gekauft. Meine Mutter fand das ziemlich doof, aber ich war damals ein irrer Heidi-Fan und wollte unbedingt eins haben. Von meiner Mutter hätte ich niemals eins bekommen. Ich hab mich natürlich gefreut. Die Mama musste es auch gleich mit mir anprobieren. Und da sagte sie zu mir „Wenn du jetzt ganz doll weinst und sagst, dass du nicht mit dem Papa mit willst, dann bekommst du ein Eis, usw.“ Meine Güte war ich manipulierbar...ich habe natürlich geheult wie ein Schlosshund, mein Eis bekommen und meinen leiblichen Vater bis heute nie wieder gesehen. Meine Mutter redet auch immer nur schlecht über ihn. Alle schlechten Eigenschaften habe ich natürlich von ihm. Und jedes Mal wenn ich sie zu sehr durch mein Verhalten an ihn erinnert habe, gabs Dresche.
Naja jedenfalls hat meine Mutter ihren neuen Partner dann geheiratet, und er war dann auch mein Papa bzw. ist er zu dem geworden im Laufe der Zeit. Ich kann ihm wirklich nichts vorwerfen, er ist ein wundervoller Mann und ich liebe ihn inzwischen mehr als meine Mutter. Das mit meiner Mutter ist eine Art Hass-Liebe. Sie hat so vieles getan wo für ich sie sehr hasse, aber irgendwie ist sie doch immer noch meine Mutter.
Ich war schon immer ein pummeliges Kind. Wenn andere Kinder naschten oder so hat meine Mutter mir das immer verboten. Sie selbst hatte auch Gewichtsprobleme und so habe ich dann von meinem 10. Lebensjahr an mit ihr Diäten gemacht. Gebracht hat mir das natürlich überhaupt nix, denn ich habe so oft es ging heimlich gegessen.
Als ich 9 war kam meine kleine Schwester auf die Welt. Von da an war alles anders. Meine Mutter streitet das ab, aber es ist einfach nicht zu übersehen, dass sie meine Schwester mehr liebt als mich. Immerhin ist dieses Kind ja von dem Mann den sie liebt. Als ich sie einmal darauf ansprach (da hab ich echt allen Mut zusammen genommen), dass sie meine Schwester mehr lieben würde, ist sie total ausgerastet und ich habe Dresche bekommen.
Eine richtige „Jugend“ hatte ich auch nicht. Meine Mutter hatte irgendwann ihren Selbstverwirklichungsdrang und wollte raus von zu Hause, arbeiten, Geld verdienen. Ich habe jeden Nachmittag auf meine kleine Schwester aufpassen müssen, noch zudem im Haushalt helfen müssen. Während dessen haben sich meine Schulkameraden im Dorf getroffen. Ich war automatisch Außenseiter. Und meine Mutter wunderte sich noch, warum ich keine Freunde hätte. Und habe ich was gesagt, sagte sie immer „Ja, wenn du damals nicht gekommen wärst, hätte ich eine Ausbildung und dann müsste ich jetzt nicht jeden beschissenen Job nehmen, den ich kriegen kann.“ Und dann war mein schlechtes Gewissen da. Ich habe mich jeden Abend selbst belohnt mit heimlichem Essen, Süssigkeiten, Kuchen, was die Speisekammer so hergab. Denn von meiner Mutter bekam ich kein Danke oder so was. Für sie war das selbstverständlich.
Als ich 17 war hatte ich ca. 85 kg erreicht. Mensch wenn ich so zurück denke, hätte ich so bleiben können, da sah ich gut aus. Ich habe dann meinen ersten Freund kennengelernt und bin ziemlich früh zu Hause ausgezogen. Aber die Beziehung war auch nicht glücklich. Er gab mir nicht was ich suchte bzw. brauchte. Es fehlte mir an Wärme, Nähe, Zärtlichkeit und Geborgenheit. Ich habe in dieser Beziehung in drei Jahren 60 kg zugenommen. Jedesmal wenn ich am Boden war, habe ich gegessen und dann gings mir besser. Klar, ich hätte mich trennen können, aber trotz allem habe ich diesen Kerl geliebt und vor allem hatte ich Angst vorm alleinsein. Meine Mutter und meine Oma sagten damals „so wie du aussiehst, kannste froh sein, dass er bei dir bleibt“ oder „wenn das vorbei ist, dauert das ewig biste wieder einen abkriegst“. Also bin ich geblieben, bis es gar nicht mehr ging.
Dann habe ich meinen Mann kennengelernt und seit dem *staune* halte ich mein Gewicht. Meine Fressfutter-Anfälle sind heute nur noch sehr selten. Mein Mann gibt mir einfach alles wonach ich immer gesucht habe und er steht zu mir. Trotzdem gibt es ab und zu Momente – Frustmomente – in denen ich genau weiss „wenn ich jetzt was esse, viel esse, dann geht’s mir besser“. Und diese Anfälle kann ich auch gar nicht verhindern. Das essen beruhigt mich dann irgendwie...schwer zu erklären.
So und nun frage ich mich, ob sich dieses „Essen-Müssen“ in Frust- oder Traurigkeitssituationen wirklich Essstörung schimpft und ob das behandelbar ist?!
Vielen lieben Dank fürs Zuhören, ich weiss, es war sehr laaaaang...
Kerstin