Die Seele braucht auch was "zu essen" :)

  • hallo zusammen
    ich habe im moment ein sehr interessantes buch zur hand, von dem ich euch gerne erzählen würde. es hat den titel: "die frau, die im mondlicht aß" vielleicht ist es der einen oder der anderen ja schon bekannt. es ist von Anita Johnston geschreieben, die in dem buch alte mythen, weisheiten und märchen zitiert, die helfen ess-störungen zu erkennen und zu "überwinden", bzw. den eigentlichen grund für dieses ess-"verhalten" zu erkennen. ich finde das buch unglaublich interessant, denn die autorin zeigt auf, daß der "hunger", den viele frauen empfinden und der von ihnen als körperlich betrachtet wird, in wahrheit ganz oft ein seelischer hunger nach selbsterkennung, spiritualität und mangelnder selbstfürsorge ist. ich werde hier mal ein paar kurze textpassagen reinsetzen, vielleicht kommt die eine oder ander ja auf " den geschmack"*g.


    - auszug -
    mein interesse an eßstörungen entwickelte sich aus meiner therapeutischen arbeit mit frauen und meiner wissenschaftlichen beschäftigung mit der frage, was es bedeutet, in der heutigen gesellschaft frau zu sein. gestörtes eßverhalten taucht als problem vornehmlich bei frauen auf. ich interessiere mich zunehmend für mädchen und frauen mit diesen störungen, denn im gegensatz zur überzeugung meiner kollegen und dem, was die literatur darüber sagt, handelt es sich nicht um furchtbar schwierige klientinnen, sondern um besonders intelligente, begabte und kreative menschen. sie sehen sich selber allerdings nicht so, sondern betrachten sich vielmehr als inkompetent, wertlos und unattraktiv. mich reizte diese diskrepanz zwischen meiner wahrnehmung und ihrer, und so hörte ich ihren geschichten mit größter aufmerksamkeit zu.


    diese frauen erzählten mir ihre lebensgeschichte in der hoffnung, dadurch einen schlüssel zu finden, eine antwort auf die fragen nach dem ursprung jener obsession, die ihr leben beherrscht. eine frau berichtete von dem mißbrauch durch ihren vater, während eine andere einen vater beschrieb, der sie stets ermutigte, förderte und ihre leistungen lobte. eine frau beschrieb eine alkoholsüchtige mutter, die ums bloße überleben kämpfte und ihr nur wenig zuwendung geben konnte, während eine andere ihr leben mit einer sie abgötisch liebende, manchmal überfürsorglichen mutter schilderte. ich behandelte frauen, die einen elternteil durch tod oder scheidung verloren hatten und andere,deren familien eng zusammenhielten. auf jede leidensgeschichte kam eine andere lebensgeschichte mit nur wenig auffälligen schwierigkeiten.


    die lebensgeschichten ergaben kein bestimmtes muster, doch viel mir in den so unterschiedlichen erfahrungen allmählich ein unterschwelliges thema auf. der rote faden, der sich durch sie hindurchzuziehen schien, war das beherrschende gefühl, nicht richtig in die familie hineinzupassen, die dinge nicht so zu sehen wie andere, das gefühl, außenseiterin zu sein.


    ich erfuhr, daß diese frauen als kleine mädchen sehr aufgeweckt und intelligent gewesen waren und ein ungewöhnliches gespür für die vorgänge in ihrer umgebung aufgewiesen hatten. in den meisten fällen waren die frauen, die heute mit einer eßstörung kämpften, einst mädchen, die unsichtbares wahrnahmen, die zwischen den zeilen lesen konnten und spürten, wenn etwas nicht stimmte. sie bemerkten es, wenn leute das eine sagten, aber was anderes taten. sie durchschauten verhaltensmuster und ahnten, wozu sie führten. sie wußten, wenn sich jemand unehrlich und unaufrichtig gegenüber ihnen verhielt.


    aus irgend einem grund wurde diese fähigkeit in der familie aber nicht geschätzt. man wollte mit dem eigenen wiedersprüchlichen verhalten nicht konfrontiert werden, noch sich mit dem auseinandersetzen müssen, was als seltsame sorge oder ungewöhnliche erwartungen erschien. man wollte sich nicht mit der hypersensibilität für emotionale zwischentöne befassen. manchmal fühlten sich die erwachsenen offensichtlich durch die frühreife des kindes gradezu bedroht. immer wenn es diese wahrheit aussprach oder dinge in frage stellt, bekam es die deutliche(oft nonverbale) botschaft, daß dieses aufrichtige, neugierige verhalten nicht in ordnung sei und sogar die stabilität der familie gefährde.


    das überleben des kindes hing davon ab, sich an die familie anzupassen. es mußte einen weg finden, sein licht unter den scheffel zu stellen, damit die eltern sich von ihm nicht überfordert fühlten, damit brüder und schwestern nicht eifersüchtig waren und ernstgemeinte probleme nicht aufgedeckt wurden, die vielleicht ein auseinenaderbrechen der familie ausgelöst hätten. das mädchen kollaborierte daher mit den anderen familienmittgliedern, indem es so tat, als stimmte etwas mit SEINER wahrnehmung nicht, als sei es SELBST nicht in ordnung. immerhin sah kein anderer in der familie die dinge so wie sie.


    '.....für alle diese mädchen bedeutete die obsession mit essen ein neues zentrum für ihr leben. sie konnten nun kalorien zählen und über jedes neue kilo klagen, statt ihre tiefere sitzenden qualen und ängste zu empfinden. die zunehmende beschäftigung mit dem körper setzte ihrer angst grenzen, anders zu sein und dinge zu sehen, die andere nicht wahrnahmen. das gefühl von einsamkeit, weil man nirgendwo richtig hineinpaßte, rückte so in den hintergrund. im vergleich zu den anderen problemen in ihrem leben schienen die schwierigkeiten mit dem essen und dicksein - so quälend sie sein konnten - einfacher. sie brauchte nur eine diät zu halten, und alles würde wieder gut. die botschaften der medien in einer kultur, die vom schlanksein besessen ist, bestätigten diese denkweise. je mehr sie sich aber in den kampf gegen essen, dicksein und diäten verstrickte, desto unklarer wurde diese "einfache lösung". sie wußte, WAS sie tun mußte(weiter abnehmen), wußte aber nicht, WIE. so entwickelte das mädchen eine selbsteinschätzung, in der sie sich als minderwertig, inkompetent und hilflos sah - und die gesellschaft bestätigte ihre selbstverdammung, weil sie nicht die willenskraft besaß, ihren körper zu kontrollieren. die gabe ihrer einsicht wurde unter vielen schichten des selbstzweifels und des selbsthasses vergraben...'


    '...das lied einer frau ist ihre wahrheit. der ausdruck ihrer innersten gedanken und gefühle ist das süßeste lied, das sie singen kann. es sollte nicht unterdrückt werden. leider gibt es menschen, die die schönheit dieser wahrheit nicht erkennen und nicht akzeptieren, daß sie frei ausgedrückt werden muss. viele frauen, die mit eßstörungen kämpfen, hören nicht, wie süß ihr eigenes lied ist, denn sie sind zu sehr damit beschäftigt auf andere zu hören - auf die stimmen ihrer eltern, liebhaber oder ehemännern, ihrer freundinnen, kollegen oder klassenkameradinnen oder auf den chor der kultur, in der sie leben. statt nach der essenz zu suchen, wer sie sind, und dies mit ihrer eigenen, einzigartigen stimme auszudrücken, lassen sie zu, daß andere definieren, wie sie sein, wie sie aussehen, was sie tun und was sie sich wünschen sollen. sie sind nicht in der lage, ihre eigene innere stimme zu hören, und erleben ein unklares, aber durchdringendes gefühl von entfrmdung, das sich nur schwer aushalten läßt. sie sehnen sich nach innerer verbundenheit und finden die entfremdung von uhrem wahren selbst unerträglich. sie füllen sich den kopf mit gedanken an essen und essen so, woe sie leben:wie in trance, sich nciht dessen bewußt, was sie wirklich wollen...'


    gruß Stöpsel :)

  • hallo stöpsel,
    kannst du mir sagen, wo ich dieses Buch bekommen kann? aus dem kurzen zitierten Absatz ist mir so vieles bekannt vorgekommen, das ich nun gern das ganze buch lesen möchte ;)
    ich denke es reicht wenn du mir die ISBN-nummer und den Verlag in dem es erschienen ist noch sagen kannst, Titel und Autor hattest du ja schon geschrieben :)
    liebe grüße
    cailly

  • Hallo Stöpsel,
    ich kenne dieses Buich, und schon die Einleiting hat mich zutiefst berührt.
    Für mich ist es eine Art Lebensleitfaden..


    Liebe Grüße
    Jesse

  • du meine güte!


    selten hat mich allein ein "auszug" aus einem buch derart umgehauen!


    danke für diesen interessanten lesetip!


    das buch ist schon bestellt :)


    RubertaKugelrund

  • schön, daß es euch auch interessiert. die autorin fragt auch wie es sein kann, daß wir so stark von dem äußeren, runden, weichen formen der frau abweichen und auf dem weg sind für frauen einen körper "zu erstellen", der dem eines knaben - nur mit brüsten - gleicht. also weg von dem runden - hin zu eckigen, kantigen maskulinen formen. sie bringt das mit der gesellschaftsordnung, die seid jahrtausenden bei uns "gelebt" wird, in verbindung. dem patriachart(männlich dominierte gesellschaftsform), wo kein platz mehr für intuition, erdverbundenheit und spiritualität gibt. das wird nämlich als spinnert abgetan. es wird nur die männliche seite in den menschen gefördert. das "gradlinige", "logische", "kantige" eben.der weibliche aspekt der seele wird unterdrückt - was fatale folgen hat.


    also, ich werd das buch wohl heute zu ende lesen. bin immer froh, wenn mir so etwas in die finger kommt, etwas, womit ich gedanklich arbeiten kann und was mich ein stückchen weiter auf meinem weg zu mir bringt :)

  • hi ihrs,
    hm, mir fällt dazu etwas sehr merkwürdiges bei mir selbst auf, ich bin multipel (also ein mensch mit mehreren Persönlcihkeitsanteilen) und mir ist schon mehrfach aufgefallen, das es immer besser ankommt, wenn mein "männlicher Zwilling" (wir beide sind die anteile die direkt mit der umwelt komunizieren) hauptsächlcih die Komunikation übernimmt, dann werden wir ernstgenommen - aber er ist eben "männlich - logisch,sachlich, distanziert und zeigt keinerlei gefühl" - wohingegen ich - "weiblich - gefühlsbetont,emotional,sensibel" - immer wieder nur auf ablehnung stoße. Selbst wenn wir es schaffen gemeinsam etwas mit zu teilen, dann wird es als "unlogisch und zu emotional" abgetan - besonders wenn es um die gesundheit unseres Körpers geht.
    Find ich schon "merkwürdig"...
    liebe grüße
    cailly

  • Hallo Stöpsel,


    Zitat

    die autorin fragt auch wie es sein kann, daß wir so stark von dem äußeren, runden, weichen formen der frau abweichen und auf dem weg sind für frauen einen körper "zu erstellen", der dem eines knaben - nur mit brüsten - gleicht.

    Die Dominanz dieses einen Ideals, das viele Mädchen rein körperlich nie erreichen könnten, ist mit Sicherheit einer der wesentlichen Gründe, warum junge Mädchen immer früher in die Essstörung rutschen. Die Veränderungen, mit denen ein junger Mensch in der Pubertät konfrontiert wird, sind ohnehin sehr belastend, weil man die eigene Identität in dieser Zeit ganz neu finden muss. Aber wenn eine weibliche Figur als "dick" empfunden wird, erleben die Mädchen ihren sich verändernden Körper als Feind.


    Zitat

    also weg von dem runden - hin zu eckigen, kantigen maskulinen formen. sie bringt das mit der gesellschaftsordnung, die seid jahrtausenden bei uns "gelebt" wird, in verbindung. dem patriachart(männlich dominierte gesellschaftsform), wo kein platz mehr für intuition, erdverbundenheit und spiritualität gibt.

    Die Verbindung zur Gesellschaft insgesamt ist sehr interessant. Pikanterweise sind wir damit "patriarchalischer" als die meisten Gesellschaftsformen - Frauen sind zwar nominell (wenn auch immer noch nicht tatsächlich) gleichberechtigt, aber dafür wird erwartet, dass sie nicht weiblich wirken. Weiblichkeit wird noch immer als Bedrohung wahrgenommen, und den Mädchen wird antrainiert, sich über ihr Äußeres zu definieren, weil sie dadurch unsicher und leicht zu lenken sind.


    Danke für den interessanten Buchtip,


    Kimmie

    [ 25-05-2003, 11:52: Beitrag editiert von: Kimmie ]

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