Emanzipation?

  • Oh, wie haben wir uns darüber in den 70ern die Köpfe heißgeredet - und wieviele Kämpfe haben wir durchstehen müssen!


    Ich bin Jahrgang 1951. Als ich geboren wurde, hatte mein Vater das letzte Wort, was mich betraf - Mütterchen blieb da außen vor, obwohl sie sich an politischen Entscheidungen als Wählerin beteiligen durfte! - das hat sich erst 1957 geändert!


    Mein Lebensweg war klar vorgezeichnet: Meine Eltern wollten, dass ich beruflich selbständig bin. Also habe ich Abitur gemacht und studiert. Das bedeutete aber eigentlich, dass ich nicht heiraten, geschweige denn Kinder haben würde. Entweder Berufsfrau oder Ehefrau, Hausfrau und Mutter.
    Wie es denn so passiert, kam ich ins heirats- und gebärfähige Alter und war verliebt, verlobt, verheiratet...Mittlerweile wurde Frauen auch Berufstätigkeit zugebilligt (zumindest wenn sie beruflich sehr qualifiziert waren!) - aber die Mutterpflichten durften nicht vernachlässigt werden, da absolut vorrangig. Mein "neues" Lebensmodell: Studium abschliessen, Arbeit aufnehmen, nach Examen und Arbeitsaufnahme des Ehemannes schwanger werden, kindern und kündigen, also Ehefrau, Hausfrau und Mutter, bis die lieben Kleinen aus dem Gröbsten heraus sind, dann Reintegration ins Arbeitsleben....


    Es kam ganz anders. Scheidung, Wiederheirat, ziemlich spät das ersehnte Kind - ich habe nicht einen Tag nach Abschluss des Studiums nicht in Arbeit gestanden....


    Ich habe vor allen Dingen nicht eingesehen, warum ich mit einem halben Leben zufrieden sein sollte - ich wollte immer ein ganzes Leben mit Beruf u n d Familie, was den Männern meiner Generation von der Gesellschaft bereitwillig zugebilligt wurde.


    Und das bedeutet für mich Emanzipation - das ganze Leben für Jeden!
    Leider hab' ich vergessen, wer Emanzipation als "Heraustreten des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" definiert hat - für mich immer noch die präziseste und beste Definition.


    stübbken


    - die sich daran erinnert, dass ihr Gynäkologe nach ihrer ersten Heirat ein schriftliches Einverständnis des Ehemannes für das Pillen-folge-rezept verlangte
    - die sich daran erinnert, wie sie von der Verwandtschaft wegen ihres Unwillens, auf ihre Arbeit zu verzichten, angefeindet und sogar noch 1988 als "entmenschte Rabenmutter, die wegen ihrer schnöden, egoistischen Selbstverwirklichung ihr unschuldiges Kind ins Verbrechen treibt" beschimpft wurde
    - die sich daran erinnert, dass sie auf i h r Auto verzichten musste, als der Ehemann eins geschenkt bekam
    - die sich daran erinnert, dass es selbstverständlich für die Verwandtschaft war, dass sie nach dem Tod ihres Vaters die Schule aufgeben und arbeiten gehen sollte, weil "...sie heiratet ja doch!"
    - die sich daran erinnert, dass es selbstverständlich für ihre Schwester war, dass sie ehelos bleibt und sich um die Mutter kümmert
    - die sich daran erinnert, dass überhaupt nicht gefragt wurde, wer bei den Kindern bleiben sollte (wohlgemerkt 1. Ehe!), obwohl der Ehemann dasselbe studierte wie sie und sie die besseren Leistungen erbrachte - da gab es noch den Paragraphen, dass eine Ehefrau arbeiten d u r f t e , wenn sie es mit ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter vereinbaren konnte

  • "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?, ich glaube: 1782.

  • Junge, Junge, stübbken ... ich bin nur zehn Jahre jünger als du, und aus deinem Posting wurde mir erst so richtig klar, was für gewaltige Fortschritte es in nur zehn Jahren gegeben hat.


    Für die Mädchen des Jahrgangs 1961 sahen nämlich offenbar die Perspektiven, die Erwartungen und die Lebensplanung schon völlig anders aus als für die Mädchen des Jahrgangs 1951.

  • Ja, es stimmt, dass sich im letzten halben Jahrhundert sehr viel getan hat und ich glaube auch, dass viele Frauen das manchmal gar nicht so richtig zu schätzen wissen.
    Aber ich denke, dass auch heute noch vieles im Argen liegt. Frauen verdienen im Schnitt immernoch weniger als Männer, es gibt immernoch weniger Frauen in Führungspositionen etc. Was ich persönlich aber am Schlimmsten finde ist die Festlegung auf Rollenklischees (himmel, schreibt man das so?). Bis vor ein paar Jahren war ich auch der Meinung, dass Frauen in Deutschland eigentlich gleichgestellt sind und dass es so etwas wie ein Rollenklischee nicht mehr gibt. Emanze war für mich eher ein Schimpfwort und Alice Schwarzer fand ich unmöglich. Mein Aha- Erlebnis war ein Kurs an der Uni über Koedukation. Die Dozentin war großartig und hat mir die Augen für eine manchmal doch ziemlich zermürbende Realität geöffnet. Ich habe damals ein Referat über männliche und weibliche Körpersprache gemacht- und war schockiert (ein zu weites Feld um es hier auszubreiten, aber achtet einfach mal darauf). Es gibt noch immer eine ganz klare (von Männern und Medien geformte) Vorstellung davon, wie eine Frau zu sein hat. Das eigentlich Spannende ist aber, dass es die Frauen sind, die auf dieses Bild bestehen und eine regelrechte "Stutenbissigkeit" entsteht, wenn sich jemand diesem vermeintlichen Ideal entzieht (eine männlich wirkende Frau, eine breitbeinig sitzende Frau- ich denke, auch dicke selbstbewusste Frauen fallen in diese Kategorie).
    Versteht mich nicht falsch, ich bin keine Männer-Hasserin, aber ich denke, dass wir Frauen in eine Rolle hineinmanipuliert werden, die wir manchmal selbst gar nicht durchschauen. Hätte man mich vor Jahren mit diesem Thema konfrontiert, hätte ich gesagt: "Ich kleide mich so, weil es MIR gefällt und sonst nix. Und ich verhalte mich so wie es MIR gefällt. Ich lasse mich doch nicht manipulieren." Heute denke ich darüber anders. Autowerbung richtet sich nach wie vor an Männer (wenigstens bei den teuren Autos), Putzmittelwerbung an Frauen. Für wen trage ich wirklich Schuhe mit hohen Absätzen und warum ist Frauenkleidung, die als schick gilt, in den meisten Fällen unbequem und wenig praktisch? (Das heisst nicht, dass ich mich nicht gerne modisch anziehe, aber dennoch sollte man bedenken, warum man sich eigentlich so ausstaffiert- auch wenn jetzt wieder alle schreien "Weil es mir gefällt!". Ja, natürlich gefällt es euch. Weil Frauen Anerkennung dafür bekommen, wenn sie ins Schema passen, sich schick anziehen, schminken etc. Das ist es doch, was wir lernen: Für dieses Schema bekommen wir Bestätigung ergo Liebe (gut, etwas überspitzt) und DESHALB erfüllen wir es. Und nicht, weil man in High Heels so bequem laufen kann :rolleyes: )
    Ich denke auch, dass das der Grund ist, warum dicke Frauen wie wir oftmals angepöbelt oder "verachtet" werden: Weil wir nicht in dieses Schema passen. Richtig "schlimm" wird es dann, wenn wir uns auch noch dazu bekennen, dass wir uns dick okay finden. Das Minimum, das man von einer dicken Frau erwartet ist doch, dass sie alles tut (in erster Linie also abnehmen), um dem weiblichen Ideal wieder näher zu kommen.
    Das alles scheinen Kleinigkeiten zu sein, aber ich denke, sie prägen unsere Gesellschaft und wir sind nach wie vor weit von der Gleichberechtigung entfernt- nicht zuletzt deshalb, weil wir Frauen uns auch gegenseitig Keile zwischen die Beine schmeissen.

    Amen. :D

  • Du hast nicht Unrecht, dickesM... Auch wenn ich das "Rollenverhalten" wahrscheinlich an anderen Beispielen festmachen würde. Interessant am Werbefernsehen finde ich nach wie vor, wie es Mütter darstellt...


    Interessant allerdings auch die Beteuerung "Versteht mich nicht falsch, ich bin keine Männerhasserin".

    Bist Du natürlich nicht, dickesM. Genausowenig wie jede andere emanzipierte Frau. Ich glaube noch nicht mal, dass Alice Schwarzer Männer hasst. (Die ich im Übrigen sehr schätze) Zumindest glaube ich, dass sie Männer ernster nimmt als das angepasste Püppchen, das glaubt, man käme mit Männern am besten klar, indem man mit Wimpern klimpert und sich in den Ausschnitt schauen lässt und sie dergestalt "um den Finger wickelt".

    Stübbken sprach oben so schön vom "ganzen Leben". Ich würde das gern noch ein bisschen erweitern. Zu einem auch emotional und geistig ganzem Leben. Und das für Männer und Frauen. Denn ich denke, dass jeder Mensch nur gewinnen kann, wenn er ein "ganzer" Mensch wird und sich nicht einseitig auf ein Geschlechterklischee beschränken lässt. Ich glaube, es täte Männern gut, wenn sie einen Zugang zu ihren Gefühlen fänden. Und ich glaube, es täte Frauen gut, wenn sie sich nicht mehr auf das "Gefühlige" beschränken ließen, nicht mehr nur lieb, nett und versöhnlich sind und Männe aufbauen, damit er da draußen funktioniert. Sondern herausfinden, dass auch sie durchaus mithalten können "da draußen". Und sich ihre "aggressiven" Seiten (und damit meine ich nur denjenigen Biss, den man braucht, um in der (Berufs)welt zu überleben) eingestehen können, und aufhören, sich zu entschuldigen, wenn sie sich verhalten, wie es für einen Mann normal wäre...

    Jaja... So denke ich mir das...

  • Zitat von Sophonisbe

    "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?, ich glaube: 1782.


    Nicht ganz. Der Artikel "Was ist Aufklärung?" erschien in der Dezemberausgabe des Jahres 1784 der Berlinischen Monatsschrift. Kant datierte den Text selbst auf den 30.9.1784.

  • Ja, Sophonis, ich stimme Dir voll und ganz zu.


    Den Satz mit der Männerhasserei habe ich quasi rein präventiv eingefügt, denn meistens gehen die "Argumente" anderer in diese Richtung (Stutenbissigkeit eben:D ). Und, nein, ich glaube auch nicht, dass Alice Schwarzer Männer hasst, sondern sich lediglich weigert zur Malibu Barbie zu mutieren.

    Summa summarum: Do samma uans ainig. :D

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