Lesenswerter Eulenspiegel-Artikel

  • ... Original unter: http://www.das-eule.de/eulenspiegel0304realsatire.html


    Wegen Übergewicht gefeuert:
    eine Realsatire zur Menschenwürde


    Von Jutta Muth


    Wenn dieser Fall Schule macht, können wir bald auf ein Heer arbeitsloser Menschen blicken, deren Körperform nicht ins Schema passt. Das Frankfurter Verwaltungsgericht gab jüngst einer Kommune Recht, die einen 29-Jährigen aus seinem Dienstverhältnis auf Probe entließ, weil dieser 120 Kilogramm wog. Es hieß, die Kommune habe den Mann mehrfach zum Abspecken aufgefordert, Ratschläge erteilt und Hilfe angeboten. Als das nicht fruchtete, setzte man ihn vor die Tür. Als der Entlassene dagegen klagte, befanden die Richter, der Dienstherr dürfe mit der praktizierten Maßnahme dem Risiko vorbeugen, für spätere dauerhafte Gesundheitsschäden seines Angestellten auf-kommen zu müssen.


    Liga der Alkoholiker


    Sind wir jetzt so weit gekommen, dass schwergewichtige Mitbürger als uneinsichtige Kranke eingestuft werden? Die Aufklärungswut der letzten Jahrzehnte hat in vielen Menschen die Annahme genährt, dass beim Körpergewicht jeder seines eigenen Glückes Schmied sein kann und ein Gewicht, das von den Idealmaßen des Zeitgeistes abweicht, Ausdruck fehlender Selbstbeherrschung ist. Nun wurde uns das sogar gerichtlich bestätigt.
    Der Fall spielt in der selben Liga wie der eines uneinsichtigen Alkoholikers. Weil Alkoholismus als Krankheit gilt, darf ein Arbeitgeber den suchtkranken Arbeitnehmer nur entlassen, wenn der eine Entwöhnungstherapie verweigert – der Erfolg der Zwangsmaßnahme ist dabei zweitrangig. Doch nicht nur der Alkoholiker schröpft unser Sozialsystem, auch der Abstinenzler ist nicht gerade billig. Denn Alkoholverweigerer sind häufiger und länger krank als durchschnittliche Schluckspechte. Brauchen auch sie eine Therapie, um künftig hier und da mal ordentlich einen draufzumachen und damit unser marodes Gesundheitssystem zu entlasten?


    Rauch & Sport


    Wie sieht es mit der Heerschar der Raucher aus, die ebenfalls häufiger krank sind als Nichtraucher? Könnte man diese entlassen, würde nicht nur in den oberen Etagen das Atmen wieder leichter fallen. Und wie steht es mit den Sportlern? Viele Arbeitnehmer fallen tage- oder wochenlang aus, weil sie sich bei Fuß-ball, Tennis oder Bergsteigen verletzt haben. Trotz des Verletzungsrisikos werden viele prompt wieder „rück-fällig”.


    Abnehmen als Risiko


    Abstinenz, Rauchen und Sporteln sind nur drei Bei-spiele einer beliebig zu erweiternden Liste von vermeidbarem Risikoverhalten. Das Körpergewicht jedoch gehört in aller Regel nicht dazu, denn sein Rahmen ist genetisch vorprogrammiert und es unterliegt langfristig keiner bewussten Einflussnahme. Gerade weil sich weder die genetische Vorbelastung zur Entwicklung bestimmter Krankheitsbilder aushungern lässt noch Verdauungsphysiologie und Stoffwechsel willentlich steuerbar sind, führt der Abbau von „Übergewicht” nicht zu mehr Gesundheit. Im Gegenteil: Abnehmversuche fügen dem Körper in aller Regel erheblichen Schaden zu. Dieser ist meistens größer als die Folgen des „Übergewichts” selbst. Abnehmen stellt damit ein vermeidbares Risiko für die Gesundheit dar und könnte mit dem gleichen Recht mit Entlassung bestraft werden.
    Der gekündigte junge Mann will übrigens gegen das Urteil in Revision gehen. Wünschen wir ihm, dass dem Berufungsgericht ein Schwergewichtiger vorsitzt!
    (Hessische Niedersächsische Algemeine vom 3. Juni 2004; Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 02.02.2004, Az.: 9 G 7433/03)

    [ 23-07-2004, 10:43: Beitrag editiert von: Kimmie ]

  • Ich bin entsetzt! Wie weit wird das wirklich noch gehen? Muß ich in Zukunft ein ärztliches Attest vorlegen, wenn ich einen Job suche? Oder wie soll das funktionieren? Ist das nur ein Auswuchs der hohen Arbeitslosenrate, speziell in Deutschland?


    Was alles wird da noch auf uns zukommen? Ich habe Angst....

  • die nicht verbeamtung (auch mässig) dicker gibts auch in österreich schon seit den 70ern, allerdings wurden die leute nicht entlassen, sondern als vertragsbedienstete eingestuft. die verschärfung dieser bestimmungen dürfte wirklich auf den prekären arbeitsmarkt zurückzuführen sein. arbeitgeber können sich aus dem heer der arbeitslosen herausfischen, was stromlinienförmig genug ist, nicht nur was die figur betrifft.


    da der öffentliche dienst eine nicht zu unterschätzende vorbildwirkung hat, sollte man dieses


    Zitat

    Abstinenz, Rauchen und Sporteln sind nur drei Bei-spiele einer beliebig zu erweiternden Liste von vermeidbarem Risikoverhalten. Das Körpergewicht jedoch gehört in aller Regel nicht dazu, denn sein Rahmen ist genetisch vorprogrammiert und es unterliegt langfristig keiner bewussten Einflussnahme. Gerade weil sich weder die genetische Vorbelastung zur Entwicklung bestimmter Krankheitsbilder aushungern lässt noch Verdauungsphysiologie und Stoffwechsel willentlich steuerbar sind, führt der Abbau von „Übergewicht” nicht zu mehr Gesundheit. Im Gegenteil: Abnehmversuche fügen dem Körper in aller Regel erheblichen Schaden zu. Dieser ist meistens größer als die Folgen des „Übergewichts” selbst. Abnehmen stellt damit ein vermeidbares Risiko für die Gesundheit dar und könnte mit dem gleichen Recht mit Entlassung bestraft werden.

    den verantwortlichen um die ohren schlagen. :mad:

    [ 23-07-2004, 13:11: Beitrag editiert von: ritathedolphin ]

  • Zitat

    unterschreib.

    Dito. :)


    Zitat

    Ist das nur ein Auswuchs der hohen Arbeitslosenrate, speziell in Deutschland?

    Ich denke auch, dass es da einen Zusammenhang gibt. Anders kann ich mir ein derart absurdes Verhalten nicht erklären.


    Dazu kommt folgendes:


    Zitat

    Die Aufklärungswut der letzten Jahrzehnte hat in vielen Menschen die Annahme genährt, dass beim Körpergewicht jeder seines eigenen Glückes Schmied sein kann und ein Gewicht, das von den Idealmaßen des Zeitgeistes abweicht, Ausdruck fehlender Selbstbeherrschung ist.

    Die "Eigenverantwortung" in allen Lebensbereichen, die ja im Zeitalter des Neoliberalismus so modern ist, wird Dicken schon aufgrund ihres Aussehens offenbar pauschal abgesprochen.


    In dem Artikel stand zwar nicht, wie groß der Mann ist, aber wenn er nicht wesentlich unter der Durchschnittsgröße für Männer in Deutschland liegt (was wahrscheinlich erwähnt worden wäre), kann er mit 120 kg kaum so dick sein, dass er allein aufgrund des Gewichts ernsthafte körperliche Einschränkungen hat.


    Viele Grüße,


    Kimmie

  • Das ist doch alles lächerlich - wo wollen sie damit anfangen und wo aufhören ? Jeder von uns hat irgendwo ein Risiko, wenn wir das nicht mehr haben können wir gleich zum Leben aufhören. Vielleicht wäre es in Zukunft doch besser sie "basteln" den "perfekten" Menschen im Reagenzglas und schauen zu das er keine Kosten verursacht solange er lebt.


    Was hat alles ein Risiko ? :


    Rauchen
    Essen
    Trinken
    Sport
    Auto fahren
    Urlaub fahren
    Rauschgift
    Solarium und Sonnenbäder am See
    Sex
    Schönheitsoperationen (ein Bereich der ja im Kommen ist)
    und
    und
    und
    und


    Und finden wir jemanden der alle diese Dinge nicht macht ?

    [ 23-07-2004, 15:49: Beitrag editiert von: Almfeee ]

    Inside me is a thin woman screaming to get out ....I can usually keep the bitch quiet with chocolate. ;)

  • Zitat

    die nicht verbeamtung (auch mässig) dicker gibts auch in österreich schon seit den 70ern, allerdings wurden die leute nicht entlassen, sondern als vertragsbedienstete eingestuft.

    Ich kann mir auch nicht denken, dass das nur ein deutsches Problem ist.


    Zitat

    die verschärfung dieser bestimmungen dürfte wirklich auf den prekären arbeitsmarkt zurückzuführen sein. arbeitgeber können sich aus dem heer der arbeitslosen herausfischen, was stromlinienförmig genug ist, nicht nur was die figur betrifft.

    Wie wahr, wie wahr. Die Wirkung, die das wiederum auf das Menschenbild als ganzes hat, ist fatal. Es war richtig, in dem Artikel die Menschenwürde zu erwähnen, denn unabhängig von allen medizinischen Erwägungen, die ist es, die hier auf dem Spiel steht.


    Zitat

    Vielleicht wäre es in Zukunft doch besser sie "basteln" den "perfekten" Menschen im Reagenzglas und schauen zu das er keine Kosten verursacht solange er lebt.

    Wenn Arbeitnehmer nur noch als "Menschenmaterial" gelten - und der Trend geht eindeutig in diese Richtung - ist es bis zu solchen Überlegungen sicher nicht mehr weit. Zumindest Gentests vor Einstellung oder vor Abschluss einer Versicherung werden wohl irgendwann selbstverständlich sein.


    Zitat

    da der öffentliche dienst eine nicht zu unterschätzende vorbildwirkung hat, sollte man dieses (Zitat) den verantwortlichen um die ohren schlagen.

    *Absolut*.


    Viele Grüße,


    Kimmie

    [ 23-07-2004, 18:33: Beitrag editiert von: Kimmie ]

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