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Wegen Übergewicht gefeuert:
eine Realsatire zur Menschenwürde
Von Jutta Muth
Wenn dieser Fall Schule macht, können wir bald auf ein Heer arbeitsloser Menschen blicken, deren Körperform nicht ins Schema passt. Das Frankfurter Verwaltungsgericht gab jüngst einer Kommune Recht, die einen 29-Jährigen aus seinem Dienstverhältnis auf Probe entließ, weil dieser 120 Kilogramm wog. Es hieß, die Kommune habe den Mann mehrfach zum Abspecken aufgefordert, Ratschläge erteilt und Hilfe angeboten. Als das nicht fruchtete, setzte man ihn vor die Tür. Als der Entlassene dagegen klagte, befanden die Richter, der Dienstherr dürfe mit der praktizierten Maßnahme dem Risiko vorbeugen, für spätere dauerhafte Gesundheitsschäden seines Angestellten auf-kommen zu müssen.
Liga der Alkoholiker
Sind wir jetzt so weit gekommen, dass schwergewichtige Mitbürger als uneinsichtige Kranke eingestuft werden? Die Aufklärungswut der letzten Jahrzehnte hat in vielen Menschen die Annahme genährt, dass beim Körpergewicht jeder seines eigenen Glückes Schmied sein kann und ein Gewicht, das von den Idealmaßen des Zeitgeistes abweicht, Ausdruck fehlender Selbstbeherrschung ist. Nun wurde uns das sogar gerichtlich bestätigt.
Der Fall spielt in der selben Liga wie der eines uneinsichtigen Alkoholikers. Weil Alkoholismus als Krankheit gilt, darf ein Arbeitgeber den suchtkranken Arbeitnehmer nur entlassen, wenn der eine Entwöhnungstherapie verweigert – der Erfolg der Zwangsmaßnahme ist dabei zweitrangig. Doch nicht nur der Alkoholiker schröpft unser Sozialsystem, auch der Abstinenzler ist nicht gerade billig. Denn Alkoholverweigerer sind häufiger und länger krank als durchschnittliche Schluckspechte. Brauchen auch sie eine Therapie, um künftig hier und da mal ordentlich einen draufzumachen und damit unser marodes Gesundheitssystem zu entlasten?
Rauch & Sport
Wie sieht es mit der Heerschar der Raucher aus, die ebenfalls häufiger krank sind als Nichtraucher? Könnte man diese entlassen, würde nicht nur in den oberen Etagen das Atmen wieder leichter fallen. Und wie steht es mit den Sportlern? Viele Arbeitnehmer fallen tage- oder wochenlang aus, weil sie sich bei Fuß-ball, Tennis oder Bergsteigen verletzt haben. Trotz des Verletzungsrisikos werden viele prompt wieder „rück-fällig”.
Abnehmen als Risiko
Abstinenz, Rauchen und Sporteln sind nur drei Bei-spiele einer beliebig zu erweiternden Liste von vermeidbarem Risikoverhalten. Das Körpergewicht jedoch gehört in aller Regel nicht dazu, denn sein Rahmen ist genetisch vorprogrammiert und es unterliegt langfristig keiner bewussten Einflussnahme. Gerade weil sich weder die genetische Vorbelastung zur Entwicklung bestimmter Krankheitsbilder aushungern lässt noch Verdauungsphysiologie und Stoffwechsel willentlich steuerbar sind, führt der Abbau von „Übergewicht” nicht zu mehr Gesundheit. Im Gegenteil: Abnehmversuche fügen dem Körper in aller Regel erheblichen Schaden zu. Dieser ist meistens größer als die Folgen des „Übergewichts” selbst. Abnehmen stellt damit ein vermeidbares Risiko für die Gesundheit dar und könnte mit dem gleichen Recht mit Entlassung bestraft werden.
Der gekündigte junge Mann will übrigens gegen das Urteil in Revision gehen. Wünschen wir ihm, dass dem Berufungsgericht ein Schwergewichtiger vorsitzt!
(Hessische Niedersächsische Algemeine vom 3. Juni 2004; Verwaltungsgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 02.02.2004, Az.: 9 G 7433/03)
[ 23-07-2004, 10:43: Beitrag editiert von: Kimmie ]