Wer versteht Dicke Denn nun wirklich?

  • Hallo,


    Zitat

    Es steckt noch mehr dahinter, gesellschaftliche Akzeptanz der Angriffe auf Dicke nämlich.


    Es ist mehr oder weniger tabu, Behinderte, Entstellte, Homosexuelle oder Ausländer offen zu diskriminieren, verbal anzugreifen und zu beleidigen. Für dicke Menschen trifft dies weniger zu - Dicke sind ja "selbst schuld".

    Das ist ein wesentlicher Punkt. Bei Dicken herrscht zumeist die Einstellung, es mangele ihnen nur an Persönlichkeit und Selbstdisziplin. Dabei ernähren sich die meisten Dicken, die ich kenne, nicht wesentlich anders als die Mehrheit der Schlanken.


    Ähnlich schlimm wie plumpe verbale Angriffe finde ich übrigens die vielen subtilen Beleidigungen und "gutgemeinten" Ratschläge, denen Übergewichtige ausgesetzt sind. Und nicht zu vergessen - die Psychologisierung des Übergewichts, die meiner Ansicht nach häufig mehr schadet als nützt.


    Viele Grüße,


    Kimmie

  • Zitat

    Aber Du willst ja wohl nicht bestreiten, daß man öfter auf der Straße angepöbelt und begafft wird als Dicke(r) als eine schlanke Person.

    Nö, bestreite ich ja gar nicht. Das letzte Mal wurde ich vor nicht ganz 2 Jahren auf offener Straße von zwei 12- oder 13-jährigen verwöhnten Jungs angemacht, die mir nachliefen, mir ihren Cityroller in die Hacken stießen und sich über die 'fette Sau' mokierten. Die Leute, die das mitbekamen, reagierten lediglich mit neugierigen Blicken, und ich überlegte mir schon heftig, wie ich mich in dieser Situation verhalten soll, da ich kurz nach meiner Bandscheiben-OP nur sehr mühsam laufen konnte. Da war´s dann schon vorbei mit meiner Souveränität, ich packte die beiden Schnöselchens an ihren Hemdkragen und bot ihnen an, ihnen ihre Hohlköpfe zusammenzuhämmern.... (seltsam, seltsam - da gab´s plötzlich einige Passanten, die fanden, daß frau so nicht mit Kindern umgehen dürfe).


    Na klar kommt sowas vor, Cleopatra. Nur: ich habe auch gesehen, daß Rollifahrer als 'nutzlose Spesenfresser' angegriffen wurden. Daß Schwule nicht nur als 'Tunte' oder 'AIDS-Schleuder' angemacht, sondern regelrecht von Schwulenklatschern gejagt werden (übrigens sehr schöne Menschen darunter). Ich hab´ auch miterlebt, wie einer sehr attraktiven, toughen Frau unterstellt wurde, sie habe sich ihre Beförderung beim Chef 'erschlafen'...


    Es wird immer Leute geben, denen es besondere Befriedigung verschafft, andere kleinzumachen, sie anzugreifen, sie mit abwertenden und bösartigen Sprüchen zu verletzen. Dicke scheinen dafür besonders 'geeignet' zu sein - erstens braucht ein Lästermaul keine geistige Leuchte zu sein, um bei einem dicken Menschen seinen 'Schwachpunkt' ausfindig zu machen, zweitens ist es ja wirklich so, daß auch das stärkste Selbstbewußtsein uns nicht davor schützt, uns - und sei es auch nur für einen Moment - verletzt fühlen, wenn uns jemand abwertet.


    Vielleicht habe ich besonders viel Glück, ich weiß es nicht - ich werde tatsächlich sehr, sehr selten blöd angemacht. Im Gegensatz zu früher, wo ich ziemlich häufig auf der Straße einfach im Vorbeigehen Sätze wie "Schau Dir mal die dicke S** an!" zu hören bekam. Ich war damals nicht dicker als heute. Was sich geändert hat? Nun. Ich glaub nicht, daß die Menschen heute 'besser' geworden sind als früher - also wird´s wohl an meiner selbstbewußteren Ausstrahlung liegen.


    Grüße, orca

  • Tag zusammen.


    Im "engstem" Freundeskreis habe ich persönlich den Eindruck (der ist bei mir leider nicht sehr groß) werden meine Probleme gut verstanden.


    Ich glaube das es nur der versteht der entweder selbst betoffen ist oder sich sehr und ohne Vorbehalte damit beschäftigt hat.


    Urteile ich da zu hart, wenn ich mich über solche Leute aufrege die wegen 2-5 KG Übergewicht rumjammern? -Nicht gleich zu ernst nehmen- Ich persönlich habe mehr als 80 Kg zu viel drauf und das Verständnis führ die kleinen Probleme vieleicht verloren.

  • Zitat

    Und nicht zu vergessen - die Psychologisierung des Übergewichts, die meiner Ansicht nach häufig mehr schadet als nützt.

    ich persönlich empfinde eher die bagatellisierung des übergewichts als im höchsten maße kontraproduktiv!!!
    so ratschläge a la "dann nimm doch einfach ab!" oder "ess halt weniger!" finde ich einfach nur primitiv und dämlich!


    es gibt nun mal drei verschiedene ursachen, warum menschen dick werden (und bei vielen dicken ist auch oft eine mischung aus diesen 3 ursachen der grund für ihr dicksein.):


    1. man ist esssüchtig (eine psychische störung!)
    oder
    2. man hat eine organische störung (z.b. schilddrüsenunterfunktion)
    oder
    3. man ernährt sich zu fett- und kalorienreich bei gleichzeitig zu wenig bewegung.


    wenn nun ein esssüchtiger den rat bekommt: "dann iß halt weniger und beweg dich mehr!" fühlt der sich damit wahrscheilich genauso ernst genommen wie jemand, der zur 3.kategorie gehört und dem man empfiehlt: "du solltest mal einen psychiater aufsuchen wegen deines übergewichts!" :rolleyes:


    die ursachen sind immer individuell, die ratschläge der dünnen gesellschaft leider aber fast immer pauschal!!! :o


    so, war leider ein bißchen off-topic, fiel mir aber gerade so ein...


    gruß
    frechdachs :cool:


    p.s.: um auch noch was zum eigentlichen thema hinzuzufügen:
    ich denke, wirklich verstehen kann die probleme eines dicken nur ein anderer dicker!
    man kann noch sosehr versuchen, sich in jemanden anders hineinzuversetzen, spätestens bei der gefühlsebene wird man kläglich scheitern!
    (oder kann z.b. jemand von euch wirklich sagen: "ja, ich kann absolut nachfühlen, wie sich ein afrikaner in deutschland fühlt!" ??? ist nur ein etwas anderes beispiel, macht das problem aber etwas anschaulicher, finde ich! ;) )

  • Zitat

    Urteile ich da zu hart, wenn ich mich über solche Leute aufrege die wegen 2-5 KG Übergewicht rumjammern?

    Nö, finde ich nicht, Horst. Ganz sicher gibt es Menschen, die kein oder kaum nennenswertes Übergewicht haben und die trotzdem ernsthafte Probleme mit ihrer Gestalt haben. Die bedauere ich manchmal. Aber meistens schwillt mir der Kamm, wenn jemand sich mit Gewalt ´n büschen Haut vom Bauch wegziehen muß, um zu demonstrieren, wie FETT sie (er kommt eher selten vor) geworden sei... da kann ich dann nur müde grinsen und fragen, ob die Betreffende nu ernsthaft Diättipps von mir erwartet...


    ;) orca

  • Hallo Frechdachs,


    Zitat

    ich persönlich empfinde eher die bagatellisierung des übergewichts als im höchsten maße kontraproduktiv!!!
    so ratschläge a la "dann nimm doch einfach ab!" oder "ess halt weniger!" finde ich einfach nur primitiv und dämlich!

    Das sehe ich genauso - und natürlich haben viele Übergewichtige große seelische Probleme. Ob das Gewicht allerdings Ursache oder Folge der Störungen ist, oder ob es überhaupt etwas damit zu tun hat - das ist individuell äußerst verschieden. Außerdem denke ich, dass psychische Störungen, Neurosen, Depressionen etc. in unserer Gesellschaft sowohl unter Dicken wie unter Schlanken weit verbreitet sind.


    Was mich stört, ist eine pauschale Psychologisierung von Überwicht. Viele "Ratschläge" in dieser Hinsicht kommen arrogant und von oben herab und sind keineswegs hilfreich. Auf ihre Weise können sie genauso nerven wie die Diättips der anderen Variante von Besserwissern.


    Übrigens: wirklich gutmeinte Ratschläge von echten Freunden sind etwas ganz anderes, selbst wenn sie manchmal ungeschickt sind. Wohl fast jede(r) Dicke hat mit beidem Erfahrung und kann echte Tips von subtiler Diskriminierung unterscheiden.


    Viele Grüße,


    Kimmie

  • Ich muss Euch jetzt mal kurz ein Kompliment machen:


    Ich sitze hier, lehne mich zurück, lese und bin einfach nur begeistert, wie wunderbar abgeklärt Ihr seid. Wenn ich das lese, kriege ich glatt Hoffnung, dass unsere Gesellschaft doch noch nicht verloren ist, die dünne wie die dicke.


    Crassa

  • Hallo Crassa,


    diese Diskussion finde auch ich äußerst interessant und erhellend. Insgesamt hat das Forum für mich eine Menge Aufklärungsarbeit geleistet; durch die Beiträge hier ist mir vieles klar geworden. Besonders die ganze Diätproblematik - vom Jojo-Effekt hatte ich zwar schon gehört, wusste aber nicht, was wirklich dahintersteckt. Seit ich mich informiert habe, erschreckt mich die ganze Ignoranz selbst (und gerade!) von Medizinern immer mehr, genau wie die Dreistigkeit, mit der fast alle Frauenzeitschriften weiterhin Werbung für angeblich ultimative Diäten machen.


    Aber gerade deshalb sind diese Seiten, die in der Tat einen Bewusstseinswandel andeuten, auch so ein großer Hoffnungsschimmer.


    Viele Grüße,


    Kimmie

    [ 24-10-2002, 15:10: Beitrag editiert von: Kimmie ]

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