In einem anderen Forum wurde mir im Zusammenhang mit diesem, bereits anderswo gelinkten Artikel die Frage gestellt, was ich unter Selbstakzeptanz verstehe. Ich habe dazu einen ziemlich langen Beitrag geschrieben, den ich - leicht abgewandelt - auch Euch zu lesen geben möchte:
Ich will versuchen die Frage nach der Selbstakzeptanz aus meiner Sicht zu beantworten. Der Umgang mit dem Begriff "Selbstakzeptanz" ist für mich vielschichtig.
Ich will erst einmal erzählen, wie ich zu der Benutzung dieses Begriffs gekommen bin. Als ich damals bei Dicke e.V. angefangen habe, fühlte ich mich von den gängigen Vorurteilen gegen Dicke genervt und wollte etwas dagegen unternehmen. Ich glaube, Dicke e.V. nannte sich "Dicke e.V. - Verein für die Akzpetanz dicker Menschen". Dicke Düsseldorf e.V. wurde dann aus der Not heraus geboren, eine Kleiderbörse in Planung zu haben und für deren Durchführung eine Rechtsform haben zu müssen, gleichzeitig aber Dicke e.V. handlungsunfähig zu sehen. So haben auch wir diesen Slogan übernommen. Als es Dicke Düsseldorf e.V. nicht mehr gab, nannten wir uns "Initiative für die Akzeptanz dicker Menschen".
Schon in der Gruppenarbeit in Düsseldorf habe ich sehr schnell begriffen, dass es das größte gesellschaftliche Problem der Dicken ist, dass sie eigentlich alle Vorurteile, die gegen sie bestehen, selbst richtig finden und für sich in Anspruch nehmen, dass der gesellschaftlichen "Ächtung" meist die "Selbstächtung" vorangeht oder sie zumindest begleitet. Im Internet ist mir das noch klarer geworden. Daher habe ich mich fortan nicht mehr nur für die Akzeptanz durch andere, sondern auch durch die Dicken selbst eingesetzt und unseren Slogan in "Internet-Initiative für die (Selbst-)Akzeptanz dicker Menschen" geändert.
So weit zum abstrakten Umgang mit diesem Begriff.
Ich persönlich halte „mangelnde Selbstakzeptanz“ nicht für ein reines Dickenproblem, sondern für ein Frauenproblem. Die wenigen bisherigen Einträge in unserem gerade mal eine Woche alten Gästebuch bestätigen das. Allerdings sehe ich sehr wohl, dass ganze Wirtschaftszweige daran arbeiten, das auch zu einem Männer- und damit letztlich zu einem Menschenproblem zu machen.
Es wird uns von allen Seiten vermittelt, dass wir einer bestimmten, willkürlich festgelegten Norm entsprechen müssen (und das bezieht sich keineswegs nur auf die Körpermaße), sonst sind wir out. Und natürlich wird auch gleich immer eine (kostenträchtige) Lösung mit angeboten, die (vermeintlich) zur Erreichung einer solchen Norm führt. Ganze Völker werden auf diese Weise künstlich unzufrieden gehalten, obwohl sie, realistisch betrachtet, nicht den geringsten Grund haben, unzufrieden zu sein. Und das Ganze hat nur einen Zweck: Der Konsum soll angekurbelt werden.
Man mag mir entgegenhalten, dass dieses System natürlich auch Arbeitsplätze sichert. Dennoch halte ich das für eine Schraube, die sich irgendwann „doll drehen“ wird, wie man in meiner Heimat so schön sagt, denn alles hat seine Grenzen. Und wir, damit meine ich unsere Gesellschaft, haben diese Grenzen längst überschritten. Für mich ist die inflationäre Anwendung von Schönheitschirurgie z.B. der Gipfel der Dekadenz … um nur ein Beispiel zu nennen.
Würden Frauen, aber auch Männer, zu selbstbewussten Wesen erzogen, würden nicht so viele Bezugspersonen (Eltern, Lehrer usw.) den vorrangigen Zweck heranwachsender Menschen darin sehen, sie als Machtopfer zu missbrauchen, wären wesentlich mehr Menschen gefestigt genug, sich selbst nehmen zu können, wie sie sind.
Im Falle der dicken Menschen sind ja nicht nur diejenigen betroffen, die selbst dick sind, sondern auch diejenigen, die einen dicken Menschen lieben (und damit meine ich jetzt nicht explizit die FAs; denn wir haben ja auch Beispiele – RubertaKugelrund fällt mir da gerade ein –, wo Männer sich in dicke Frauen verliebt haben, obwohl sie nicht unbedingt drauf stehen). Verliebt sich in unserer Gesellschaft ein Mann in eine dicke Frau und lebt das auch, muss er unter Umständen eine Menge aushalten können.
Gleichzeitig entstehen aber auch solche Aussagen, wie ich sie heute Morgen in einem Nachbarforum lesen konnte:
ZitatHi Leute, habe gerade so die ganze, kürzlich gelaufene Diskussion zum Thema: was ist wirklich "schlank und schön" verfolgt.Klar auch, dass wohl jede/r eine eigene Definition dazu hat und die Meinungen weit und subjektiv auseinander gehen.
Aber irgendwo passt denn auch OBJEKTIV die Bezeichnung "schlank" wirklich nichtmehr.Ich meine damit besonders den Hinweis unten auf die DOVE-Werbung.Diese Frauen zB mögen zwar nicht übermässig dick oder unattraktiv sein und vielleicht auch "Normal- oder Durchschnittsfigur" haben, aber so eine Figur noch wirklich als "schlank" zu bezeichnen ist doch eher mehr als gewagt!,
gefolgt von Links, die auf Anorexieseiten führen.
Es ist mir persönlich ein Bedürfnis, darauf aufmerksam zu machen, dass mangelnde Selbstakzeptanz künstlich und gezielt gefördert wird, um damit die Gesellschaft in einer bestimmten Weise zu beeinflussen.
So weit der gesellschaftliche Aspekt (I. Teil). Kommen wir nun zum Einzelnen.
Wir alle wissen, wozu diese Entwicklung beim Einzelnen führt. Ich will jetzt mal nur auf das Thema Übergewicht eingehen. Man kann das auch auf viele andere Lebensbereiche ausdehnen.
Menschen, die eigentlich nicht übergewichtig oder sehr leicht übergewichtig sind, sind mittlerweile fest davon überzeugt, zu dick zu sein. In den meisten Fällen beginnen sie mit Diäten, wie wir sie alle immer wieder in den Magazinen vorfinden. Gibt ihr Körper die vermeintlich überflüssigen Kilos – aus gutem Grund – nicht her, ist die Essstörung nicht weit, der Schritt zur Bulimie und Anorexie kurz.
Die gegenteilige Entwicklung ist der Jojo-Effekt, der dem Betroffenen immer mehr Kilos beschert und schließlich auch oft in der Essstörung endet, indem sich der Betroffene gedanklich mit nichts anderem mehr beschäftigt als mit seinem Essverhalten. Eine Frustschraube setzt sich in Bewegung, die viele seelische Probleme und weitere Essstörungen wie z.B. das Binge Eating nach sich zieht. Gleichzeitig wird der dicke Mensch mehr und mehr stigmatisiert, Ursache und Wirkung bedingen sich irgendwann gegenseitig.
Wie bitte, soll man diesen Teufelskreis durchbrechen, wenn nicht durch Selbstakzeptanz, wenn nicht dadurch, dass man sich klar macht, dass man ein wertvoller Mensch ist und dass man, so wie man ist, mit der Neigung zum Übergewicht oder – wie es vielen Menschen in meinem Alter ergangen ist – mit dieser persönlichen Geschichte der Dauerdiäten aus Unwissenheit, gut und in Ordnung ist?
Selbstakzeptanz ist für mich, diese Zusammenhänge zu erkennen und der Schritt, sich von selbstzerstörerischem Handeln zu verabschieden und damit auch ein Stück weit von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, die unsinnig sind (womit ich sagen will, dass ich überzeugt davon bin, dass es auch sinnvolle gesellschaftliche Zwänge gibt). Es geht um das Durchschauen von fehlgeleiteten Strukturen und darum, neue Strukturen zu schaffen, die weniger gefährlich für den Einzelnen sind.
Und damit bin ich bei dem gesellschaftlichen Aspekt Teil II und möchte dem [in der Diskussion im anderen Forum vorgebrachten] Argument zustimmen, dass es für die Gesundheit unserer Gesellschaft (womit ich nun wieder bewusst die Plattform der Dicken verlasse und die ganze Gesellschaft meine, wenngleich die Dicken im Hinblick auf diesen Aspekt auch ganz besonders betroffen sind) wichtig wäre, Geld für die Förderung der Selbstakzeptanz auszugeben, weil damit nämlich der so genannte volkswirtschaftliche Schaden, den z.B. die Dicken anrichten (sollen), deutlich geringer gehalten werden könnte. Denn alles, was aus mangelnder Selbstakzeptanz heraus geschieht, richtet langfristig betrachtet, mehr Schaden an, als es nutzt.
Im Artikel habe ich den Schlusssatz mit dem Hinweis auf die Selbstakzeptanz so verstanden, dass Menschen mit einer genetisch bedingten Neigung zum Übergewicht oder einer Erkrankung, die Übergewicht verursacht, im Sinne meiner obigen Ausführungen und zum Schutz ihrer seelischen und körperlichen Gesundheit, besser daran täten, sich und ihre Disposition zu akzeptieren, als mit Gewalt und zerstörerischen Maßnahmen dagegen anzukämpfen, in erster Linie doch nur, um einer willkürlichen gesellschaftlichen Norm zu entsprechen.
Crassa