Ist der reale Sozialismus am Schlankheitswahn gescheitert?

  • Guckt mal, was ich gestern abend gefunden habe!


    ...Um dieses Ziel zu erreichen, waren in den fünfziger Jahren ein neuer Modeltyp - der "sozialistische Mensch, den es zu bekleiden gilt" - und weitere sozialistische Modeleitbilder geschaffen worden. Deren Vorbild war die "stärker gebaute" Frau, die in der Produktion in Stadt und Land kräftig zupacken konnte. Die Bauernzeitung vom 1. Mai 1956 befand, dass es - in Abgrenzung zum "westlichen" Typ des schlanken Models, eher der "Typ der etwas vollschlanken Frau" sei, den die Landbevölkerung sehen wolle. Und so sollte dieser Frauentyp die Mehrzahls der "Models" stellen, die auf bis zu 160 ländlichen Modeschauen die neuesten sozialistischen Kollektionen präsentierten. Bei alledem ging es nicht nur darum, akute Versorgungsengpässe zu überwinden. Einige Wirtschaftsplaner gedachten allen Ernstes, die "kräftige Frau " als allgemeines Schhönheitsideal zu etablieren, in der Hoffnung damit mittel- und langfristig die Nachfrage nach Damenoberbekleidung zu senken. Schließlich hätten Verbrauchenumfragen gezeigt, dass korpulente Frauen nicht jeden modischen Kleiderwechsel mitmachten...
    (aus:Kaminsky,Wohlstand, Schönheit, Glück - Kleine Konsumgeschichte der DDR,Beck-Verlag München 2001)


    stübbken

  • Hallo Stübbken,


    *sehr* interessantes Thema. Als ich kurz nach der Wende mit meinen Eltern auf Rügen war, fiel mir auf, dass die Menschen dort in der Tat lockerer mit ihrem Aussehen umgingen. Es war selbstverständlich, nackt zu baden, egal in welchem Alter und mit welcher Figur. Ich denke, inzwischen wird sich das angeglichen haben.


    Zitat

    in der Hoffnung damit mittel- und langfristig die Nachfrage nach Damenoberbekleidung zu senken. Schließlich hätten Verbrauchenumfragen gezeigt, dass korpulente Frauen nicht jeden modischen Kleiderwechsel mitmachten...

    Das hätte wohl nicht geklappt. Wenn sie das "Schönheitsideal" wären, würden dicke Frauen sich bestimmt genauso gerne schön machen wie dünne.


    Ciao,


    Kimmie

    [ 29-04-2004, 11:14: Beitrag editiert von: Kimmie ]

  • Ich habe ja zur Wendezeit selbst noch an der Ostsee gewohnt und so mitbekommen, wie prüde Westdeutsche "Besatzer" (Zitat einer Stuttgarter Lehrerin!) zahlreiche FKK-Strände in Beschlag genommen haben und sich einen Dreck geschert haben um die dortigen langjährigen Gepflogenheiten. Nun, wie man hört, haben sich in der Zwischenzeit die langjährig gewachsenen Gepflogenheiten doch behauptet. Übrigens schon zum zweiten Mal, denn auch die SED hatte weiland versucht, die "Unart des Nacktbadens" an der Ostsee auszurotten. Der damit beauftragte Genosse sah bald die Vergeblichkeit seines Unterfangens ein und ging selber nackt in der Ostsee baden. Der "Dank" seiner Partei folgte ihm auf dem Fuße.


    Zitat

    Wenn sie das "Schönheitsideal" wären, würden dicke Frauen sich bestimmt genauso gerne schön machen wie dünne.

    Es wäre mir neu, daß Ihr Euch NICHT gerne schön macht . . .


    PS:
    An Schlankheitswahn in der DDR kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.

  • Zitat

    denn auch die SED hatte weiland versucht, die "Unart des Nacktbadens" an der Ostsee auszurotten. Der damit beauftragte Genosse sah bald die Vergeblichkeit seines Unterfangens ein und ging selber nackt in der Ostsee baden.

    :D :D :D


    Zitat

    Es wäre mir neu, daß Ihr Euch NICHT gerne schön macht . . .

    War auch etwas verkürzt ausgedrückt; wenn mollige Frauen das Schönheitsideal wären, würde die Mode sich wahrscheinlich eher nach ihren Bedürfnissen richten und es folglich eine größere Auswahl an bezahlbarer schöner Kleidung in großen Größen geben. Dann würden dicke Frauen auch lieber und häufiger shoppen gehen, ganz einfach, weil es weniger frustrierend wäre. Im Moment geben wir zwar oft das gleiche für Kleidung aus wie schlanke Frauen, wenn nicht mehr, aber wirklich schöne Stücke sind schwer zu finden und auch oft kaum bezahlbar.


    Viele Grüße,


    Kimmie

  • hihi....bin selber wendekind und amüsiere mich so gern darüber, wie hier (münchen) die leute sich am weiher, see oder im schwimmbad umziehen....voll in das handtuch eingewickelt, yogaähnliche verrenkungen machen, nur damit auch niemand nur den Ansatz der nackten Wahrheit erblickt....*lachendflachliegentu*


    Mir is das Wurscht. Auch im Schwimmbad brauche ich keine Umkleidekabine, mir reicht der Platz vorm Spint :D

  • @Na Ich
    Na endlich noch jemand! :D
    Ist mir auch wurscht, wo ich mich umziehe. Ich hab keinen Bock krampfhaft beim Umziehen das Handtuch festzuhalten.
    Wem nicht gefällt, was er sieht, dem steht es frei, wegzugucken... :p


    Dat Tenhsi <-- unprüder Ossi

  • @Yoru: jeder Mensch sieht doch von außen gleich aus. Ich meine, jeder hat andere Proportionen, aber trotzdem ist (normalerweise) alles dran, was dran sein sollte.


    Ich frage mich oft, wie Kinder einen unkomplizierten Umgang mit Nacktheit lernen sollen, wenn sie in den Medien die ganze Zeit mit nackter Haut konfrontiert werden, im Schwimmbad aber nicht mal neugierig kucken und sich schon gar nicht vorm Spint umziehen dürfen, weil die Mama sie sofort in die nächste freie Umkleide schiebt. Oder wenn sie schon am See oder im Freibad lernen, wie man sich richtig ins Handtuch wickelt um nix zu zeigen.


    Ich finde das sehr schade, denn einmal antrainiertes Verhalten und antrainiertes Schamgefühl legt man nur ganz schwer wieder ab. Da lobe ich mir die Saunagänger und FKKler, die Offen-Umzieher und die Nicht-Kindschaudaweg-Sager. :D konfus aber aussagekräftig :D


    Nacktheit ist natürlich. Erst wenn man es zu einem Tabuthema macht, wird es kompliziert. Sicher soll net jeder nackisch durch die Gegend rennen, aber ein bissl weniger verklemmter wär schon schön :)


    die Grit (auch unprüde Ex-Ossi-Neu-Wessi oder zu Deutsch: Exilsächsin :D )


    zum Thema zurück:


    Zitat

    Schließlich hätten Verbrauchenumfragen gezeigt, dass korpulente Frauen nicht jeden modischen Kleiderwechsel mitmachten...

    Hm, ich würde den Satz umändern. Und zwar in "jeden modischen Kleiderwechsel mitmachen können"


    Immerhin ist es doch auch heute so, dass Frau/Mann, stattlicherer Natur, nicht in die gängigen Modeoutfits reinpassen, weil die für Konfektionsgrößen bis 38 gedacht sind. Seh ich das falsch?

    [ 29-04-2004, 14:53: Beitrag editiert von: Na_Ich ]

  • Abgesehen davon, dass es teilweise einer gewissen Komik nicht entbehrt (die planmwirtschaftlichen Aspekte der Materialeinsparung!), halte ich den Aspekt, dass eine gesellschaftlich kompetente Frau auch optisch etwas darstellt (frei nach Mario Puzo "eine Frau mit Respekt" sprich:Bauch)für sehr interessant.


    Gibt's nicht auch die (feministische) Theorie, dass Frauen dick sind, um etwas darzustellen? - weil Masse irgendwo auch Stärke symbolisiert?


    Im Übrigen kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass die östliche Freikörperkultur der beste Beweis dafür war, wie sehr der schonende Umgang mit den knappen Resourcen von den Bürgern der DDR verinnerlicht war!


    stübbken

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