Einfach mal erzählen

  • Hallo Ihr Lieben,



    ich habe mich hier angemeldet, weil ich seit einiger Zeit meine Fressanfälle nicht mehr im Griff habe. Ich habe hier mal einige Beiträge durchgelesen und finde mich und mein Verhalten sehr oft wieder.



    Wie ich ebenfalls lesen kann, gibt es eigentlich keine wirkliche Hilfe. Ich finde es furchtbar, dass ich Essstörungen habe. Ich weiß nicht, wieso ich das mache. Ich MUSS es tun.
    Ich MUSS mich vollstopfen. Ich verstehe mich selbst nicht. Momentan passiert es fast täglich. Oft fahre ich nochmal extra los um mir neues Essen zu besorgen. Ich fühl mich echt wie ein "Drogenabhängiger" auf der Suche nach dem nächsten Schuss... Langsam geht es auch echt ins Geld.



    Therapeutische Hilfe würde ich gerne in Anspruch nehmen, jedoch habe ich es aufgegeben, einen Therapieplatz zu bekommen. Alle Therapeuten, die ich angerufen habe haben Wartelisten mit bis zu 300 (!!!!) Patienten. Irgendwann ist es einem auch echt zu blöd, dort anzurufen.



    Ich weiß, dass mir hier wahrscheinlich auch niemand helfen kann, aber es tut einfach mal gut, sich hier ein wenig "auszukotzen" und zu sehen, dass es Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Leider können mich die Menschen aus meinem Umfeld, denen ich mich anvertraut habe, nicht verstehen. Sie sagen "Hör doch einfach auf damit, so viel zu essen."
    Aber wenn ich das könnte, dann würde ich es ja einfach lassen. Mein Verstand sagt NEIN, aber mein Körper steigt einfach ins Auto und fährt los und kauft Essen und stopft es in meinen Mund. Ich glaube, wenn ich es selbst nicht so erleben würde, könnte ich es auch nicht glauben.



    Also was bleibt mir anderes übrig, als jeden Tag aufs Neue zu versuchen, das Essverhalten in den Griff zu bekommen!?

  • Liebe Lila!
    Ich kann Dich sehr gut nachvollziehen. Ich habe meine ES seit nunmehr 15 Jahren. Das wie getrieben nach Essen suchen und mich jeden Abend aufs Neue vollstopfen müssen bis zur Übelkeit.
    Als mein Leidensdruck sehr groß wurde, habe mich mich vor über zwei Jahren an eine Selbsthilfegruppe für essgestörte Frauen angebunden. Ich besuche sie bis auf große Ausnahmen wöchentlich. Hier hilft mir die Erkenntnis, dass ich nicht alleine bin und es werden vielfältige Themen behandelt. Es geht oft gar nicht ums Essen oder Gewicht. Für mich genau das Richtige. Weil ich finde, dass eine ES nie für sich alleine steht, sondern oft Symptom anderer Probleme ist. Ich empfinde für mich meine ES als so komplex und vielschichtig, dass ich ohne Unterstützung den Umgang damit nicht finden würde.
    Ich versuche es von zwei Seiten anzugehen: Einmal Verständnis und Ursachenforschung und zum Anderen: schädliche Verhaltensweisen zu unterbinden (also statt Essanfall Dinge zu probieren, die mir guttun. Entweder ein Anruf bei Freunden, ein schönes Getränk bewusst genießen, Bewegung)


    Bei mir war es halt irgendwann soweit, dass ich bei aller Reflexion nicht mehr gegen die ES angekommen bin. Also die Frage nach dem Warum hat es auch nicht mehr gebracht. Ich denke, dass sich so eine ES irgendwann verselbständigt, wenn die primären Auslöser schon lange nicht mehr gegeben sind.


    Ich habe kapituliert. Das war ein wichtiger Schritt. Und habe mich um eine Reha gekümmert. Da ich hochmotiviert und hilflos allein war, war die Reha genau der richtige Schritt für mich. Ich habe es geschafft, zwei Monate ohne Essanfall zu sein. Das hat mir wieder Vertrauen zu mir gegeben, dass es überhaupt machbar ist, einen Tag und mehr ohne Essanfall zu überstehen.


    Und ich denke, es wird noch ein langer Weg. Ich schätze mal, es wird eher „einen langfristigen Umgang mit der ES“ als “der Weg komplett raus “


    Eins weiß ich aber: ich möchte gesünder werden. Und ich möchte nicht, dass Essen mein Feind wird. Ich esse regelmäßig und manchmal sogar mit Genuss. Das ist soviel mehr als ich vorher hatte. Und ich verbiete mir Verbote :)


    Vielleicht waren ein, zwei Denkanstöße dabei für Dich. Ansonsten ist es nur mein ganz persönlicher Weg, den ich beschrieben habe.


    Und eine Bitte: Sei gut zu Dir! Versuche, Dich nicht für Dein Essverhalten zu verurteilen!


    Nach meiner Erfahrung hat eine ES auch immer eine Berechtigung und verhindert vielleicht Schlimmeres, was wir uns essen oder nicht essen antun würden.


    Liebe Grüße

    HOFFNUNG ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat - egal, wie es ausgeht.

  • Hallo


    ich kann nur von meinen Erfahrungen erzählen:


    ich hatte jahrelang Essattacken, ich überaß mich mehrmals pro Woche, danch fühlte ich mich elendig und am nächsten Morgen durfte ich natürlich nicht frühstücken, ich wollte die Kalorien wieder einsparen die ich Tags zuvor gefuttert hatte. So folgte dann spätestens am nächsten Tag die nächste Attacke.


    Ein Teufelskreis, den ich durchbrach indem ich aufhörte zu fasten, keine Diäten, kein Verzicht, alles ist erlaubt, egal ob Sahnetorte oder Schokolade, Erdbeereis mit Sahne oder Kekse, aber und das ist der wichtigste Punkt: nur bei echtem Hunger.


    Anfangs war es schwer zu unterscheiden ob es sich um Hunger oder einfach nur Appetit oder Frust, Langeweile oder Depressionen handelte, die mich zum Kühlschrank zog.


    Irgendwo habe ich mal gelesen: Hunger haben ist wie aufs Klo müssen, man merkt es.


    Ich wartete also ganz bewußt auf den Hunger und nach Jahren spürte ich irgendwann auch wieder Sättigung. Für mich habe ich festgestellt, daß ich nur wenn ich mit Hunger esse, auch wirklich satt werde.


    Seitdem habe ich keine Essattacken mehr, esse bei Hunger, manchmal auch ohne, wenn ich zB eingeladen bin. Aber auch dann werde ich inzwischen satt und fühle mich wohl.


    Abgenommen habe ich nicht, aber ich fühle mich wohl in meinem Körper, kann Essen wieder genießen und das Gefühl wirklich satt zu sein.

    Liebe Grüße Mendi


    "Wer eine schöne Stunde verschenkt, weil er an Ärger von gestern denkt oder an Sorgen von morgen, der tut mir leid. Mein Name ist Hase, ich weiß Bescheid." (Bugs Bunny)

  • Ich würde wegen des Therapeuten nicht so schnell aufgeben. Such dir einen, der nicht ganz so lange Wartezeiten hat (also nicht grad der mit den 300 Patienten) und lass dich auf die Liste setzen. Ein halbes Jahr oder sogar ein Jahr ist schnell vorbei und besser ist es, wenn du in einem halben Jahr einen Termin hast, als nie. Wie lange frisst du schon? Da lohnt es sich schon, zu warten. Das heißt ja nicht, dass du in dieser Zeit nichts machen kannst. Die Idee, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen find ich auch gut.


    Ich wünsche dir viel Glück :)

  • Danke für eure Worte! Es hilft schon zu wissen, dass man nicht alleine mit diesem Problem zu kämpfen hat. Für mich ist es momentan echt schwer, weil ich die Fressanfälle einfach nicht mehr kontrollieren kann. Ich hatte sie immer nur so phasenweise und hatte auch immer das Gefühl, dass es ja gar nicht soooo schlimm ist. Aber momentan kann ich einfach nicht aufhören.


    Nicht mal mein Mann kann mich verstehen. Er sagt, er versucht es, aber ich merke schon, dass er innerlich den Kopf schüttelt, wenn er merkt, dass ich es wieder "getan" habe.


    Ich habe schon das Gefühl, dass ich ohne Hilfe im Moment nicht aus dieser Situation heraus komme.

  • Das Thema ist schwierig, wie ich finde.

    Entweder es ist wirklich rein organisch, dass zu einem gewissen Punkt irgendwas im körperlichen Regulativ ausklinkt. Das dürfte äußerst schwer zu diagnostizieren sein, da die übliche, zu 99,99% vertretene Meinung ist, das man ja einfach damit aufhören kann.

    Oder es ist eine Übersprunghandlung. Eine Reaktion auf eine andere Begebenheit, die irgendwann stattgefunden hat oder dauerhaft anliegt, die zu den Fressattacken führt. Hier würde ich mal nachdenken, wann das angefangen hat. Vielleicht vor Jahren aufgrund einer besonderen Situation und das hat sich als Gewöhnung manifestiert. Ist also zum nicht gesteuerten Ritual geworden.

    Ich für meinen Teil hatte da eine recht unglückliche Kombination.
    Zum einen hatte ich bis zum wirklichen Ende der Pubertät, mit 17-18, keinerlei Sättigungsgefühl. Ich habe gegessen, bis ich direkt am Tisch brechen mußte, wenn man mich gelassen hat.
    Ein ganzen Paket Spaghetti mit 5-8 Eiern und einem ganzen Streifen durchwachsenen Speck hab ich mir als Mittagessen reingezogen und Abends dann noch Abendbrot. Meine Eltern waren Mittags nicht zu hause und mich hat keiner gebremst. Und der ewige Vortrag meiner Eltern mit "Du bist satt" half da garnichts. Selbst mit einem 4-jährigen kann man über Gefühle wie Hunger nicht diskutieren. Meine Eltern sagten mir also, das ich satt sei und alles in mir sagte immer nur eins: HUNGER!!!!
    Dazu war ich auch noch Frustesser. War der Schultag also nicht so erbaulich, was bei übergewichtigen Kindern ja sooooo selten vorkommt, habe ich extra nochmal soviel gegessen.
    Und dann die Kur, weil ich ja einfach nur weniger zu essen brauchte. Habe in 6 Wochen, über die Sommerferien, 52kg abgenommen. Dann war wieder Schule. Bin immernoch gehänselt worden, weil ich immernoch dick war. Puff, nach 8 Wochen waren die 52kg wieder drauf.

    Mittlerweile habe ich zum Glück das überwunden und kann auch nicht mehr mehr essen als andere. Nur die 75kg zuviel bin ich nie wieder losgeworden.

  • Hallo Lila,


    mir geht es genauso wie dir. Bei mir fing es langsam in der Pubertät an und es wurde immer mehr und schlimmer. Ich habe eine Therapie gemacht, was mir persönlich nicht allzu viel geholfen hat, da ich irgendwie selbst noch nicht bereit dazu war.


    Jetzt ist vor einem halben Jahr mein Vater gestorben und es ist noch schlimmer geworden. Also es vergeht kein Tag/keine Nacht, ohne so eine Attacke. Und ich nehme kontinuierlich zu. Habe mittlerweile auch begriffen, dass es nicht mehr so weitergehen kann, weil es für mich auch körperlich zu belastend ist.
    Deshalb habe ich nun eine Einweisung für eine Klinik von meinem Arzt und werde dann in naher Zukunft dort, nicht nur wegen Übergewicht, sondern mit allem was psychisch daran hängt, eine Therapie machen.



    Viele liebe Grüße

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