Falsches Essverhalten

  • Hallo ins Forum!

    Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit der Frage: Woran erkennt man eine Essstörung? Ist sie generell mit z.B. Heißhunger-Attacken, Bulimie oder anderem in Verbindung zu bringen oder gibt es ein breiteres Spektrum wie sich soetwas äußert bzw. entsteht?
    Seit längerem suche ich im Forum über Informationen dazu und bin noch nicht so richtig fündig geworden. Wann entwickelt sich etwas zu einem krankhaften Zwang oder wann legt man „nur“ ernährungstechnisches Fehlverhalten an den Tag?

    Ich bin mit 1,76 m und 145 kg stark übergewichtig. Ich habe glücklicherweise keine gesundheitlichen Beschwerden/Einschränkungen wie sie oft mit Übergewicht einhergehen. Mein Übergewicht ist meines Erachtens durch krasse Ernährungsfehler entstanden.

    Wenn die Kids abends ins Bett gehen, dann geht es bei uns zum gemütlichen Teil über - gemeinsames Abendessen (da gibt’s dann unvernünftiger Weise auch mal eine Pizza, Aufläufe, einen Döner, oder andere leckere Gerichte). Ich koche einfach viel zu gerne als daß ich mich über die lange Zeit der Zubereitung ärgern würde.

    Bei meinem Mann ist das abendliche Essen kein Problem, er kann essen was er möchte und „legt dabei nicht zu“. Bei mir sieht das gaaanz anders aus. Wenn ich das Essen fertig habe, dann weiß ich jedesmal genau, daß ich das eigentlich nicht essen dürfte – und was mache ich? - Ich esse trotzdem! Ich halte mich eigentlich für einen normal intelligenten Menschen, aber meine Unvernunft siegt dann doch. Das ärgert mich enorm!
    Abends stelle ich dann meist „Schnasselkram“ auf den Tisch dessen Bestand im Laufe des Fernsehprogramms rapide abnimmt. Ich nenne das immer „meinen Gemütlichkeitsfaktor“. Wenn ich nichts auf den Tisch stelle, dann ist das auch kein Problem und das widerrum beschäftigt mich gedanklich derart, daß ich vom Fernsehprogramm schon nichts mehr mitbekomme.Da stellt sich für mich wieder die Frage der Vernunft: Wieso stelle ich den „Schnasselkram“ denn sonst erst auf den Tisch, wenn er eigentlich nicht vermißt wird?

    Bei mir liegt es meines Erachtens einfach am falschen Essverhalten. Oder ist es doch eine Essstörung die ich mir nur nicht eingestehen will? Ich möchte dieser Frage gerne auf den Grund gehen um meine eigenen Fehler zu erkennen. Wie bereits gesagt, schließe ich eine Erkrankung (z.B. Schilddrüse, Nebenwirkung von Medikamenten etc.) bei mir aus.

    Wie verhält es sich bei Euch? Habt Ihr ähnliche Gedankengänge wie ich, oder denke ich abnorm und wieder zu kompliziert? Ich will das Problem gar nicht zu einer Essstörung hochstilisieren - versteht mich da bitte nicht falsch.

    Liebe Grüße :)
    Yanced



  • Zitat von Yanced

    Wie bereits gesagt, schließe ich eine Erkrankung (z.B. Schilddrüse, Nebenwirkung von Medikamenten etc.) bei mir aus.

    Schließt du die Erkrankung aus? Oder schließt ein Arzt sie nach eingehender Untersuchung aus? Ich schob mein Übergewicht auch immer auf falsche Ernährung und versuchte, mich so weit wie möglich (eigentlich eher unmöglich) einzuschränken, bis ich bei ca. 600kcal täglich lag und mir noch ein schlechtes Gewissen machte, wenn ich mal 100 bis 150kcal mehr zu mir nahm (nur zum Vergleich: mein Grundumsatz lag da bei 700kcal). Bis mich dann endlich Ende der 90er nach jahrelanger Tortour ein Gynäkologe zum Endokrinologen überwies, der eine schwere Schilddrüsenunterfunktion diagnostizierte. Gemerkt habe ich die Erkrankung nicht, ich dachte auch, ich sei gesund.

  • Hallo Yanced,


    Diagnosen, ob jemand essgestört ist oder nicht, will ich auf keinen Fall stellen.
    Was Dir aber vielleicht helfen kann, selbst weiterzukommen ist, mal drüber nachzudenken, was eine EssStörung ist.
    Dazu zähle ich MagerSUCHT, Bulimie=Ess-und BrechSUCHT sowie Ess(Fett)SUCHT.
    Sicher fällt Dir nun schon was auf? Überall steckt das Wort SUCHT drin.
    Eine Essstörung hat also was mit Sucht zu tun - und dafür gibt es ja schon klare Definitionen.
    Die psychosoziale Definition betont, daß jedes menschliche Verhalten süchtig ausarten kann, wenn dafür soviel Zeit aufgewendet wird, daß die weitere psychosoziale Entwicklung der Person beeinträchtigt ist. Sucht wird in dieser Definition als die Entwicklung des Individuums beeinträchtigendes Verhalten bzw. destruktive Entwicklung gesehen. Sucht entspricht damit einem Zustand der Endostase, d.h. Erstarrung, statt dem - Lebewesen angemessenen - Zustand der Homöostase, d.h. einem dynamischen Gleichgewicht. Das süchtige Verhalten wird


    • zwanghaft wiederholt und gewinnt für den Süchtigen immer mehr an Bedeutung.
    • führt zu einer zunehmenden Einengung der sozialen Bezüge und zum Verlust an Interessen oder Selbstkontrolle,
    • bei ausbleibender Befriedigung treten psychische Entzugserscheinungen auf, und
    • der Süchtige versucht, sein Verhalten zu rechtfertigen, auch wenn gesundheitliche Folgen zu befürchten sind.

    Du kannst ja mal Dein Essverhalten darauf hin anschauen - und auch drüber nachdenken, ob Du vielleicht mit dem Essen andere Dinge, z.B. Gefühle, kompensierst bzw. unterdrückst oder z.B. Langeweile damit bekämpfst.
    Wenn das der Fall wäre, dann bist Du zumindest auf dem Weg in eine Essstörung.

    Wenn Du dagegen einfach des Geschmackes wegen gerne isst, das Gemeinschaftserlebnis eines geselligen Essens liebst, dann denke ich nicht, dass man da von einer Essstörung sprechen sollte.

    Was nun die Ursachen Deines Übergewichtes angeht - mag sein, dass da körperlich etwas nicht in Ordnung ist, wie Dralle Deern andeutete, es kann aber auch durchaus sein, dass Du eben zu viel isst (noch dazu vielleicht das Falsche - ich denke mal, dass Du abends zum TV eben die Chips auf den Tisch stellst und das, obwohl ihr gerade erst ein reichhaltiges Abendessen hinter Euch habt) und Dich recht wenig bewegst?
    Wenn Dich Dein Übergewicht sehr stört bzw. Du dadurch gesundheitliche Probleme hast, dann kannst Du ja schauen, ob Du da etwas ändern möchtest. Z.B. statt Chips eben einen leckeren Obstteller und statt eines sehr reichhaltigen Abendessens etwas leichtes mit viel Salat oder so.
    Eben die Ernährung umstellen und gut und frisch essen - statt fetter Chips, Fertigprodukten und Co (wobei ich betonen möchte, dass das nur Tipps sind, ich kenne ja Dein Essverhalten/Deine Kochmethoden gar nicht).

    Hoffe, dass ich Dir helfen konnte,
    Darcy

  • @dralle deern
    Ich fühle mich gesund und daher schließe ich eine Erkrankung aus. Ich leite mein Übergewicht einfach aus meinem bescheuerten Essverhalten ab. Beim Arzt war ich deswegen noch nicht, denn das ist mir irgendwie peinlich. Frei nach dem Motto - erst futtert sie sich die ganzen Pfunde an und jetzt schreit sie nach einem Arzt. Entschuldigung daß ich das hier so schreibe, aber das ist meine größte Befürchtung wenn ich wegen dem Übergewicht einen Arzt konsultieren würde. Ich kann ja auch schlecht hingehen und sagen: Überprüfen Sie doch mal meine Schilddrüse könnte ja zufällig sein, daß da etwas nicht stimmt.

    Äußert sich eine Schilddrüsenunterfunktion denn nicht durch irgendetwas?
    Du sagst, daß Du das bei Dir nicht bemerkt hast. Was machst Du denn jetzt dagegen?


    @Darcy
    Vielen herzlichen Dank für die Informationen. Ich denke Du hast in vielen Punkten (insbesondere bei den Chips am Abend) absolut Recht. Dein Posting muß ich mir gedanklich längerfristig durch den Kopf gehen lassen. Ich werde mir in der nächsten Zeit beim Essen genau Gedanken darüber machen, WARUM ich das jetzt esse. Ich glaube das ist ein wichtiger Ansatzpunkt.

    Liebe Grüße
    Yanced :)

  • Yanced,


    wegen dem, was der Arzt denkt, solltest Du Dir die wenigsten Gedanken machen.


    Es ist jedenfalls kein Problem, zum Arzt zu gehen und um eine Blutuntersuchung zu bitten - und gleich zu sagen, dass bitte auch die Schilddrüsenwerte bestimmt werden sollen. Dann wird sich sehr schnell rausstellen, ob Du eine Unterfunktion hast (die sich unter anderem in Müdigkeit, Lustlosigkeit und ähnlichem äußern kann). Dass diese Unterfunktion erkannt (und dann auch behandelt wird), ist übrigens nicht nur wegen dem Gewicht wichtig, sondern vor allem, weil bei einer sehr starken Unterfunktion auch andere Körper- und auch Geistesfunktionen eingeschränkt sein können (ich denke da vor allem an Konzentrations- und Gedächtnisdefizite, aber auch unerfüllter Kinderwunsch).
    Behandelt wird durch die Gabe von Schilddrüsenhormonen (in Form von Tabletten), die man dann eben jeden Morgen eine halbe Stunde vor dem Frühstück nehmen muß. Die Blutwerte sollten dann regelmäßig kontrolliert werden, um die richtige Dosis festzulegen.
    Es muß aber durchaus nicht sein, dass Du dann gleich super abnimmst - bei mir ist die Schilddrüse inzwischen gut eingestellt, mein Gewicht hat sich dadurch allerdings nicht verändert.

    Darcy

  • Hallo Yanced,


    ich bin eine der diagnostizierten Essgestörten und schreib dir einfach mal auf, wie es bei mir ablief:


    Ab dem Alter von 10 Jahren nahm ich zu. Meine Eltern versuchten alles, mich zu stoppen. Ich war in zwei Kuren, bekam Zuhause Süßigkeitenrationen, damit ich nicht heimlich welche besorgen musste, meine Eltern versprachen mir 5 DM für jedes Kilo, dass ich verlieren würde etc. Gebracht hat es alles nichts. Ich wurde immer, immer dicker. Ich hatte keine Fressattacken, bei denen ich Unmengen an Schokolade oder ähnlichem in mich reinstopfte. Ich frühstückte morgens mit Brot und Nutella oder Honig, mittags gab es dann nen Döner oder auch nur ne 5-Minuten-Terrine...bis dahin alles mehr oder weniger okay. Bis der Abend kam. Sobald ich nach der Arbeit Zuhause war, öffnete ich die Kühlschranktür. Um mir „etwas Gutes“ zu tun, machte ich mir ein Backblech voll mit einer Art Quiche Lorraine und aß es ganz. Oder ich machte mir vier Scheiben Brot mit Käse und Salami. Danach hatte ich das Bedürfnis, etwas Süßes zu essen. Also 5 Weingummis. Ach, die sind so süß, also wieder ein Stück Salami. Nachdem ich übersatt war, setzte ich mich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. Auf dem Tisch zwar keine Chips, aber vielleicht Käsewürfel mit Gurkenstücken oder Salamischeiben. Und ab und an auch Chips. Ich ernährte mich also nie übermäßig durch ein Lebensmittel, sondern immer durch viele verschiedene. Ich überaß ständig, hatte nie das Gefühl: „So, jetzt reicht es.“ Bei uns in der Familie ist der Satz „Satt kenn ich nicht, entweder ich habe Hunger oder ich muss kotzen“ gang und gebe. Ich konnte nur mit dem Essen aufhören, wenn ich richtig satt war, sprich: kurz vorm Platzen.


    Mit der Zeit fiel mir auf, dass es immer abends war, wenn ich übermäßig aß. Wenn ich alleine Zuhause war. Nach einem Tag voller Arbeit, die mir nicht gefiel. Abends, wenn mir besonders bewusst wurde, wie sehr mir ein Partner fehlte. Wenn ich eine Auseinandersetzung tagsüber gehabt hatte, aus der ich als „Verlierer“ rausgegangen war. Irgendetwas stimmte nicht, aber ich konnte es nicht in Worte fassen.


    Ich spürte allerdings ganz deutlich, dass ich essen musste und es nicht kontrollieren konnte. Ich konnte nicht einfach sagen: „So, diese Woche gibt es viel Gemüse und wenig fett, damit ich etwas abnehme.“ Das klappte 2 Tage, dann saß ich wieder abends auf dem Sofa und aß.


    Um den Rest abzukürzen: Ich fand eine Therapeutin, die auf Essstörungen spezialisiert ist. Ich habe viele, viele Jahre das Essen als Ersatz für etwas genutzt, was mir im Leben fehlte. Ich konnte nicht offen Probleme ansprechen. Ich konnte keine Menschen nah an mich ranlassen. Gefühle waren einfach nicht erlaubt. Ich habe – im wahrsten Sinne des Wortes – alles in mich reingefuttert.


    Was ich damit sagen will: Geh zum Arzt und lass dich durchchecken. Das kostet sehr viel Überwindung, aber wenn du es 1 x gemacht hast, kannst du jährlich wieder hingehen und dann ist die Angst nicht mehr ganz so groß. Kein Arzt sagt was, wenn du erklärst, dass du rausfinden möchtest, woher dein Übergewicht kommst.


    Ich lasse mich seit 3 Jahren checken und weiss immer über meine Zuckerwerte etc. Bescheid. Sollte sich da also etwas ändern, bemerke ich es sehr schnell. Auch ich wurde – vor Therapieantritt – auf Schilddrüsenprobleme gecheckt, war aber nichts. Ich bin – an und für sich – kerngesund. „Nur“ meine Seele ist lädiert.


    Ich finde es gut, dass du dir diese Gedanken machst. Das ist ein guter Anfang, egal, ob du dick geworden bist durch falsche Ernährung, eine Krankheit oder eine Essstörung. Noch ein Tipp: Führ mal eine Zeitlang ein Essenstagebuch. Schreib dir auf, wann du was ist und wie es dir zu dem Zeitpunkt geht. Iss du, weil es dir gut geht? Isst du, weil es dir schlecht geht? Isst du, weil es „gerade so gemütlich ist“? Isst du, weil alle anderen um dich auch gerade essen? Am Anfang wirst du die Gefühle vielleicht noch nicht unterscheiden können, aber mit der Zeit kriegst du Übung. Du musst nur sehr genau hinhören!


    Alles Gute
    Babs

  • Zitat von Yanced


    Äußert sich eine Schilddrüsenunterfunktion denn nicht durch irgendetwas?
    Du sagst, daß Du das bei Dir nicht bemerkt hast.

    Eine Schilddrüsenunterfunktion macht zunächst keine Probleme, weshalb sie lange nicht wahrgenommen wird. Einige Symptome können später sein:
    - Neigung zu Depressionen
    - Sinken der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit
    - Frieren
    - Verstopfung
    - Gewichtszunahme


    Zitat

    Beim Arzt war ich deswegen noch nicht, denn das ist mir irgendwie peinlich. Frei nach dem Motto - erst futtert sie sich die ganzen Pfunde an und jetzt schreit sie nach einem Arzt. Entschuldigung daß ich das hier so schreibe, aber das ist meine größte Befürchtung wenn ich wegen dem Übergewicht einen Arzt konsultieren würde. Ich kann ja auch schlecht hingehen und sagen: Überprüfen Sie doch mal meine Schilddrüse könnte ja zufällig sein, daß da etwas nicht stimmt.

    Doch, das kannst du und das solltest du auch tun. Ich habe mich auch lange geschämt, einen Arzt auf mein Gewicht anzusprechen, und wenn ich es tat, wurde ich blöde abgebürstet. Erst als ich mich traute, meinen Gynäkologen um einen "Hormonstatus" zu bitten, der Auffälligkeiten zeigte woraufhin ich zum Endokrinologen überwiesen wurde, bekam ich dort Schilddrüsenhormone verordnet und es geht mir seitdem besser. Zwar nehme ich nicht ab, aber ich nehme nicht mehr zu, was schon ein großer Gewinn ist. Außerdem bin ich ausgeglichener, möchte nicht meine Gegenüber für die kleinsten Kleinigkeiten töten *gg* und ich kann mit mehr Ruhe mein Leben leben.

  • Ich bedanke mich herzlich bei Euch für Eure Rückmeldungen und die ausführlichen Beschreibungen.


    Ich habe beschlossen auf den Vorschlag von FRAUVONHEUTE aufzugreifen und habe vor ein paar Minuten eine solche "Liste" angelegt. Es stehen übrigens schon 3 Weihnachsplätzchen drauf, auf die ich eigentlich gar keinen Hunger hatte. Ich bin wirklich gespannt wie sich das entwickelt, denn der Kontrollansatz der dahinter steht ist sicherlich sehr sinnvoll.

    Ferner werde ich zum Arzt gehen und mein Blut untersuchen lassen. Bei mir steht sowieso noch ein Allergie-Test aus, da lasse ich das mal eben mitmachen. Ich wußte ehrlich nicht, daß man die Schilddrüsenwerte per Blutabnahme ermittelt. Das ist ja easy, denn ich hatte schon die Befürchtung wieder in irgendein monströses Untersuchungsgerät (wie KernSpin) geschoben zu werden.
    Dann hat sich meine Praxisgebühr wenigstens gelohnt:D , denn glücklicherweise bin ich sonst nie beim Hausarzt, außer der Kopf hängt schon fast unter dem Arm :D .

    Liebe Grüße
    Yanced :)

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